Bewertung: ****

Die Zeitrechnung im Film startet fünf Jahre vor dem 11. September 2001, genauer gesagt 1996 in Hamburg: Die ehrgeizige Deutsch-Türkin Asli studiert als erste Frau in ihrer konservativen Familie und lernt den libanesischen Kollegen aus betuchtem Haus, Saeed, kennen. Beim Flaschendrehen auf einer Party kommen sich die Medizin-Studierenden näher. Er fasziniert sie: Er ist weltgewandt, selbstbewusst und sehr charmant. Er umgarnt sie und bald werden sie ein Paar. Sie schmieden Pläne und ziehen zusammen. Asli ist glücklich. Und obwohl ihre Mutter gegen diese Beziehung ist, hält sie daran fest und heiratet Saaed – heimlich.


Nach „Zwei Mütter“ und „24 Stunden“ rückt die Regisseurin Anna Zohra Berrached erneut eine vielschichtig gezeichnete Protagonistin in den Fokus ihres Films, der als Liebesgeschichte startet: mit fiebrigen Bildern vom Rummelplatz, von Nachtspaziergängen und Sexszenen. Die Kamera bleibt nah an den Protagonistinnen und Protagonisten dran. Erzählt wird von einer großen Liebe, die in einer großen, historischen Katastrophe endet. Angelehnt an die wahre Story des 9/11-Attentäters Ziad Jarrah, gelingt es der Regisseurin, die als Tochter eines Algeriers in der DDR aufwuchs, erneut eine hochpolitische Angelegenheit im Privaten zu verhandeln. Nicht nach Schwarz-Weiß-Schemata, sondern in Grauschattierungen und mit vielschichtig gezeichneten Figuren. Bei der Hochzeit in der Moschee verspricht Asli ihrem Mann, künftig seine Geheimnisse zu wahren. Saeed hat viele Geheimnisse. Er radikalisiert sich, entfremdet sich von Freunden, geht nachts heimlich raus, um die Telefonzelle aufzusuchen und bricht eines Tages ohne Erklärung in den Jemen auf.


Asli hält dicht, sie will um jeden Preis an ihrer Liebe festhalten. Auch wenn sie ahnt, was passiert, hakt sie nicht mehr nach. Als er unerwartet und mit Narben aus dem Jemen zurückkehrt, offenbart er ihr, dass er seinen Pilotentraum verwirklichen will – in Florida. Sie schöpft Hoffnung. Und als sie ihn in den USA besucht, begegnet ihr ein Stück weit wieder der alte Saeed. Sie wird nicht mehr wegschauen können, als sie die Bilder der einstürzenden Twin Towers am Fernsehbildschirm verfolgt und Saeed nicht erreichbar ist.


Das bei der Berlinale uraufgeführte Drama gewährt einen interessanten, empathischen Blick auf ein historisches Ereignis, das die Welt nicht nur erschüttert, sondern verändert hat. Die Blicke der hervorragenden Hauptdarsteller Canan Kir und Roger Azar sprechen Bände und wühlen auf. Denn Anna Zohra Berrached wirft viele Fragen auf. Die Antworten, die bleibt sie schuldig