THE NEST

Bewertung: ****

Rory O’Hara ist ein Hochstapler. Das macht Regisseur Sean Durkin („Martha Marcy May Marlene“) uns recht bald klar. Seine amerikanische Frau Allison weiß es wohl auch. Dennoch geht sie mit ihm und den beiden Kindern über den Atlantik. Dort will der Brite im Jahr 1986 nach seinen USA-Abenteuern einen Neustart als Börsenmakler wagen, eine „lukrative Business-Opportunity“, wie er es im Wirtschafts-Neusprech nennt. Mit einem riesigen Landhaus will der in Armut geborene Rory sich selbst und seiner Familie beweisen, dass er jemand ist. Jude Law glänzt als verführerischer Blender neben einer phänomenalen Carrie Coon als gefangene und dennoch selbstbewusste Frau. „The Nest“ erzählt vor dem Hintergrund der großen Finanzmarkt-Deregulierung der fatalen Reagan-Thatcher-Jahre von der toxischen Erfolgssucht eines Mannes und dem Zerfall einer Beziehung. Das kompakte Erwachsenen-Drama wird dabei umso düsterer und packender, je mehr der geldgeile Glanz abblättert. (mw)

RISIKEN & NEBENWIRKUNGEN

Bewertung: ***

Hand aufs Herz: Würden Sie Ihrem Partner oder Ihrer Partnerin eine Niere spenden? Darf man vor der Entscheidung zaudern? Diese Frage stellt Michael Kreihsls Tragikomödie „Risiken & Nebenwirkungen“, die auf Stefan Vögels Theaterstück „Die Niere“ basiert. Die kammerspielartige Versuchsanordnung verhandelt existenzielle Fragen, leuchtet krisengebeutelte Beziehungen und übt Kritik am Patriarchat. Starke Ensembleleistung, konventionelle, nicht ganz klischeebefreite Umsetzung: Samuel Finzi verkörpert einen eitlen Architekten, der an einem Phallusbau arbeitet und Inka Friedrich die gekränkte Nierenpatientin. Großartig und vielschichtig: Pia Hierzegger und Thomas Mraz als befreundetes Paar. (js)

BLACK WIDOW

Bewertung: ***

Bevor es vorwärtsgeht, schaut das Marvel Cinematic Universe noch einmal zurück. Denn „Black Widow“, der diese Woche als erster post-pandemischer Marvel-Blockbuster in die Kinos kommt, ist ein Rückblick. Wer die sogenannte Marvel „Infinity Saga“ bis zum vorläufigen „Endgame“ (2019) verfolgte, weiß warum. Nun bekommt also Natasha Romanoff, wie die Black Widow mit bürgerlich-sowjetischem Namen heißt, ihre eigene Original-Story – und die ist, ganz ohne Superkräfte, reichlich actionreich.

Im Film der gefeierten australischen Indie-Regisseurin Cate Shortland („Lore“) begegnen wir ihr zunächst als Kind in der idyllischen Vorstadt von Ohio. Nach dem Prolog ist Scarlett Johansson als erwachsene Natasha Romanoff auf der Flucht vor sich selbst und dem „Civil War der Avengers“ (2016). Erst eine gar nicht sanfte Wiederbegegnung mit der kleinen Adoptivschwester aus Sowjetzeiten bringt diese Action-Episode in Gang. Lesen Sie hier die gesamte Kritik von Marian Wilhelm zum Film der Woche

BAD LUCK BANGING OR LOONEY PORN

Bewertung: *

Mit dem Titel „Bad Luck Banging or Loony Porn“ verspricht Radu Jude als diesjähriger Gewinner des Goldenen Bären mehr Spaß und Anspruch als die Satire zu bieten hat. Ein dreiminütiges Hardcore-Sex-Tape als Einstieg taugt heutzutage nicht mehr wirklich zur künstlichen Provokation. Die restlichen gut 100 inkonsistenten Filmminuten voller beliebiger Alltagsszenen und banaler Gespräche werden von einer unzusammenhängenden Videoclip-Kompilation absurder Bilder und anekdotischer Texte unterbrochen bevor der Film in einer theaterhaften Elternabend-Kurzfilm-Farce gipfelt. Dort muss sich Hauptfigur Emilia als Lehrerin vor bigotten Eltern für den ins Internet gelangten Sexclip rechtfertigen - inspiriert von einer wahren Geschichte. Immerhin überzeugt Darstellerin Katia Pascariu und einige politisch-kritische Kommentare über die Verkommenheit Rumäniens würzen die filmische Beliebigkeit. Am Ende heißt es dann selbstironisch „The film was but a joke and here it ends.“ (mw)

DIE FRAU, DIE RANNTE

Bewertung: ***

Hong Sangsoo ist bekannt für „minimalistisches Erzählkino“. Auch diesmal gibt es keine spektakulären großen Geschichten, aber auch keine selbstverliebten formalen Spompanadeln, sondern einen unaufgeregt-harmloser Film mit simplem Titel „도망친 여자 - Domangchin yeoja - Die Frau, die rannte“: Titelheldin Gamhee spricht mit drei Freundinnen über das Leben im allgemeinen und ihres im besonderen. Der koreanische Regie-Veteran schreibt ihnen Alltagsdialoge und filmt sie in langen ungeschnittenen (Essens-)Szenen fast dokumentarisch. Quälend zäh wird es in den sympathisch-bescheidenen 77 Filmminuten aber nicht. Auch wenn sich „Die Frau, die rannte“ inhaltlich zuweilen wie ein sehr ruhiger Kurzfilm über über Frauen-Freundschaften anfühlt, wachsen einem die allzu menschlichen Figuren irgendwie ans Herz - und man freut sich schon ihren Alter Egos in Hong Sangsoos nächstem jährlichen Mini-Spielfilm wieder zu begegnen, den er bereits bei der diesjährigen Berlinale vorstellte („Inteurodeoksyeon“). (mw)