Eigentlich wollte Julia von Heinz den Film schon lange drehen. Das Projekt ließ sich aber über einige Zeit nicht auf die Beine stellen. Erst jetzt bekam sie „Und morgen die ganze Welt“ endlich finanziert – zum denkbar passenden Zeitpunkt. „Letztlich ist das wohl gut, da er jedes Jahr, das ich warten musste, an Dringlichkeit nur gewonnen hat“, sagte die deutsche Regisseurin in Venedig. Ihr Wettbewerbsbeitrag, der einzige deutsche, ist so auch eine Reaktion auf das derzeitige politische Klima in Deutschland und viele andere Länder weltweit, auf den Zulauf bei den Rechtspopulisten, auf rechte Hetze und Gewalt.

Im Zentrum steht Mala Emde als Jura-Studentin Luisa, die sich in ihrem Widerstand gegen Rechtsextreme einer Antifa-Gruppe anschließt. Dort trifft sie auf Alfa und Lenor, mit denen sie sich an zunehmend riskanteren Aktionen gegen Neonazis beteiligt – und bei ihrem Widerstand selber auch zunehmend radikaler und gewaltbereiter wird.

„Filme können die Welt schlechter machen, das wissen wir alle. Sie können Frauen zu Objekten machen, Gewalt verherrlichen, Propaganda unmenschlicher Systeme sein“, erklärt Regisseurin von Heinz, die früher selbst auch linke Aktivistin war und nun bei der Pressekonferenz in Venedig mit ihrem Team an die Opfer rechten Terrors erinnerte. „Filme haben aber auch die Kraft, die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Vielleicht ist es gerade an der Zeit, Filme nicht nur für den Eskapismus zu drehen, sondern sie zum Teil des gesellschaftlichen Diskurses werden zu lassen.“

Trotz mancher Schwächen – etwa im Hinblick auf Luisas kaum ergründete Motivation oder das mitunter in Stichworten entworfene Rechtsruck-Gesellschaftsbild – könnte von Heinz das gelingen: „Und morgen die ganze Welt“ regt schließlich komplexe Fragen für diese Zeit an: Wann ist es höchste Zeit, um die Demokratie zu kämpfen? Wie weit darf man bei diesem Widerstand gehen?

Ob das für eine Auszeichnung durch die Jury unter Vorsitz von Cate Blanchett reicht, wird sich morgen Abend bei der Abschlussgala auf dem Lido zeigen. Sicher aber ist, dass von Heinz mit ihrem Beitrag in einem ungewöhnlichen Festivaljahrgang gelandet ist – in mehrfacher Hinsicht. Zum einen natürlich, weil Venedig als erstes A-Festival in der Pandemie das Risiko einging, tatsächlich stattzufinden und in Anbetracht der Ausnahmesituation bestens funktionierte: Die Corona-Regeln wurden verlässlich, strikt und reibungslos durchgesetzt, ohne der Mostra aber die Stimmung zu nehmen.

Zum anderen, weil dieses Festival, das auch ohne große Hollywood-Beteilung und viel Glamour ein größtenteils gelungenes Programm bot, über weite Strecken in fester Hand der Frauen war – von Jury-Präsidentin Cate Blanchett bis zum starken Doppelschlag der britischen Schauspielerin Vanessa Kirby in zwei Wettbewerbsbeiträgen. Vor allem aber stammten nach vielen Jahren, in denen die mangelnde Präsenz von Regisseurinnen im Wettbewerb kritisiert wurde, diesmal nicht nur 8 von 18 Beiträgen von Frauen. Von ihnen kamen auch die meisten der preisverdächtigen Filme: Ganz gleich, ob es sich um Jasmila Žbanićs „Quo vadis, Aida?“ handelte, der das Massaker von Srebrenica aus Sicht einer couragierten Übersetzerin schilderte. Oder um Mona Fastvolds „The World to Come“, der von einer tragischen Liebe zwischen zwei Frauen in den USA der 1850er Jahre erzählte.

Einen starken Akzent in der zweiten Festivalhälfte setzte aber auch der italienische Doku-Filmer Gianfranco Rosi mit „Notturno“. Nach „Fuocoammare“, seinem Berlinale-Gewinner über die Flüchtlingskrise, geht er in den Nahen Osten und fängt dort – aufgrund der Stilisierung des Schreckens- und der Ruinen-Bilder durchaus umstritten – Schlaglichter des Lebens, Alltags und der ewigen Terror-Gewaltspirale ein. Nichts wird genau verortet, nichts eingeordnet. Man wird einfach dem direkten Eindruck überlassen – und der verfolgt einen mitunter. Wie ein kleiner Junge anhand selbstgemalter Kinderbilder seine eigenen Schreckenserfahrungen im ISIS-Terror beschreibt: Das schnürt einem den Hals zu wie in keinem anderen Film dieses Festivaljahrgangs