Nina Hoss hat in ihrem Schauspielerinnen-Leben schon viele verstörende Frauen verkörpert. In Ina Weisses Drama „Das Vorspiel“, das ab 26. Juni in den Kinos läuft, fügt sie mit Nuancen im Gesicht eine weitere großartige Facette hinzu – als obsessive Geigenlehrerin. Am Telefon erzählt die 44-jährige Deutsche, was sie daran gereizt hat.

Beim Lesen des Drehbuchs: Welches Bild hatten Sie von dieser verstörenden Lehrerin im Kopf?
NINA HOSS: Ich habe sie nicht gleich auf Anhieb verstanden, oder auch nicht, warum sie sich selber so im Weg steht. Das fand ich so interessant, dass ich große Lust hatte, mich mit dieser Figur zu beschäftigen. Ihre Vielschichtigkeit hat mich angezogen. Es ist wie ein Wechselspiel: heiß und kalt, hart und weich. Als ich das Buch weggelegt hatte, dachte ich: „Die ist faszinierend. Da kann man so viel entdecken!“


Werden Ihnen oft solche vielschichtigen Figuren angeboten oder hat das Seltenheitswert?
Das kommt nicht so häufig vor, auch nicht, dass mit so viel Genauigkeit und Mut erzählt wird. Es wird auch nicht alles auserzählt, es bleiben Leerräume, die man selber füllen muss. Man begreift diese Frau nicht ganz. Manchmal möchte man eingreifen und ihr sagen: „Jetzt mach das doch anders!“ Es hängt damit zusammen, wie Ina Weisse das geschrieben, inszeniert und geschnitten hat. Das passiert nicht so oft, dass man mit einer Figur auf dem harten Weg ist.


Diese Figur weint einige Male, aber ansonsten hält sie einen Vorhang vor ihre Gefühle. War das schwierig zu spielen?
Sie ist mit der Prämisse aufgewachsen, dass Schwäche disziplinlos ist. Mit Disziplin steht man alle Schwierigkeiten des Lebens durch. Sie versucht, sich davon zu befreien. Dieser Kampf für eine Befreiung, das ist diese Frau für mich und da muss ich eine Fassade für sie finden, um das zu erzählen. Dass sie ausbrechen, sich von diesem Druck befreien und etwas erleben will. Gleichzeitig ist sie aber diejenige, die sich selbst den meisten Druck macht. Also: Sie hat es nicht im Griff, aber sie denkt immer, sie hat es im Griff bzw. dass man Dinge im Griff haben muss. Die Dinge passieren in den Nuancen, ein kleiner Blick, ein Anflug von einem Lächeln. Ich denke, sie will empfinden.

Isabelle Huppert in Michael Hanekes Verfilmung „Die Klavierlehrerin“ bleibt unvergessen. Hat Ihnen dieser oder andere Filme über Lehrerinnen, gescheiterte Spitzenmusikerinnen in der Vorbereitung geholfen?
Ich habe diesen und andere Filme natürlich gesehen, aber ich tu mich da immer ein bisschen schwer mit der Vorbereitung. Ich sehe die dann nicht noch einmal, um mich inspirieren zu lassen, weil diese Filme meine Phantasie eher einengen als öffnen würden.  Ich gehe wirklich immer vom Material selbst aus, um diese Figur neu zu interpretieren. Dieses Spannungsfeld, diese Druckkammer des Studentenzimmers ist natürlich Wahnsinn. Als Kind weißt du von keiner Alternative, du denkst das ist so. Die Macht, die Lehrer haben, ist groß. Dieses Machtspiel in dieser Lehrer-Schüler-Konstellation, dieses Ausnutzen von Macht und gleichzeitig dieser innere Kampf dieser Lehrer bis hin zum Kontrollverlust, kann man unfassbar gut erzählen. In dieser Konstellation kann man auch sehr viel über die Prägung eines Menschen erzählen, über das, was Kinder kaputtmachen oder fördern kann, über persönliche Prägungen der Lehrerinnen und über die Tragik des Versagens. All diese Filme könnte man nebeneinander stellen und doch sind es immer wieder andere Geschichten. 


Sie nimmt sich, was sie gerade will, ohne das zu begründen. In ihren Verhaltensweisen erscheint diese Frau recht männlich.
Das ist das Tolle daran! Das habe ich selten in einem Drehbuch gelesen. Es wird nicht erklärt, warum hat sie jetzt dies oder das macht, das ist nicht wichtig. Das lässt man eigentlich immer nur den männlichen Part erzählen. Dieses Selbstverständliche, dass das eben so ist. Dass sie einen Liebhaber hat, heißt ja nicht, dass sie ihren Mann nicht liebt. Das ist immer die erste Frage bei den Männern: Wieso hat sie einen Liebhaber? Damit haben die ein großes Problem. Da muss ich dann immer in mich hineingrinsen, weil ein Dialog angestoßen wird, und das ist ja das Beste, was einem passieren kann.

Ina Weisse ist nicht nur Filmemacherin, sondern auch Schauspielerin. Wie ist das, wenn eine Mimin Regie führt?
Das haben wir uns beide auch gefragt, ob das jetzt ein Unterschied ist oder nicht. Ich weiß es nicht. Ich glaube, man muss beim Regie-Führen große Sensibilität haben, dazu muss man nicht unbedingt Schauspieler sein. Was schon interessant ist: Schauspieler wissen um den Kräftehaushalt und um den Konzentrationsraum genau Bescheid. Jeder Schauspieler und jede Schauspielerin braucht eine andere Sprache. Und  Ina Weisse weiß, was Schauspielen heißt und welchen Mut und welche Kraft das erfordert. Da kann sie unglaublich viel Raum dafür schaffen


Würde es Sie auch reizen, die Seiten zu wechseln und Regie zu führen?
Wenn Sie mich vor drei Jahren gefragt hätten, hätte ich gesagt: „Absolut!“


Und wenn ich Sie jetzt frage?
Auch immer noch, aber im Moment darf ich so großartige Figuren spielen, an denen ich mir meine Zähne ausbeißen kann, dass ich wieder richtig verliebt in meinen Beruf bin.

Nina Hoss und Lars Eidinger auf der Berlinale
Nina Hoss und Lars Eidinger auf der Berlinale © APA/AFP/TOBIAS SCHWARZ


Worauf dürfen wir uns freuen?
Vor „Das Vorspiel“ habe ich witzigerweise „Pelikanblut“ gedreht, auch mit einer Regisseurin, Katrin Gebbe. Und danach stand ich für „Schwesterlein“ vor der Kamera, der auf der Berlinale im Wettbewerb gelaufen ist, auch dort führten mit Stephanie Chuat und Veronique Reymond zwei Schauspielerinnen Regie. Ich bin dort mit Lars Eidinger als Zwillingspaar zu sehen, einer von uns ist schwer an Krebs erkrankt und das löst viel in der Familie und gerade meiner Figur aus. Es ist ein Spiel um Leben und Tod und Liebesverlust und Hoffnung. Im Vorjahr habe sehr viel gedreht, das letzte Jahr war ein großes Geschenk. Sechs Monate lange habe ich eine Serie gedreht  „Shadow Plays“ mit Tylor Kitch oder Michael C. Hall unter der Regie von Måns Mårlind („Die Brücke).