Die großen Filmfestivals sind für Normalsterbliche normalerweise weit entfernte Ereignisse, die ihre Film-Highlights erst mit viel Verspätung unter die Leute bringen. Nur für die Fachbesucher und einige wenige Filmfans in der jeweiligen Stadt öffnen sich die Türen zu den Weltpremieren. Doch auch die Festivals retten sich coronabedingt ins Netz - und vor dem Bildschirm sind alle gleich und somit gleichzeitig dabei.

So gesehen ist das morgen beginnende Netz-Ereignis „We Are One: A Global Film Festival“ kein bloßer Ersatz. 21 Top-Festivals von Cannes, Berlin und Venedig bis zu Locarno, Rotterdam und Sarajewo steuern ihre - zugegeben nicht topaktuellen - Filme und Sonderprogramme bei. Initiiert vom abgesagten New Yorker TriBeCa-Festival werden die virtuellen Projektoren bis zum 7. Juni zehn Tage lang angeworfen und zwar im Internet-Fernsehkanal YouTube.

Die Inhalte sind als gratis Livestreams und teilweise auch nachträglich abrufbar, verbunden mit einem Charity-Spendenaufruf für WHO und Covid-Opfer.

Zu sehen gibt es einiges aus dem Repertoire von vergangenen, abgesagten (TriBeCa, Cannes) und schon wieder vor der Tür stehenden Festivals wie Venedig. Auch das spannendste US-Festival Sundance und der große Marktplatz von Toronto präsentieren ausgewählte Filme. Begleitet werden die Lang- und Kurzfilmprogramme von Gesprächen und Diskussionen. So zum Beispiel von zwei hochkarätige Regie-Gespräche der diesjährigen Berlinale: Ang Lee im Gespräch mit Kore-eda Hirokazu und Claire Denis im Gespräch mit Olivier Assayas. Außerdem gibt's Sundance-Kamingespräche mit Jackie Chan und Jane Campion und eine New Yorker-Doppelconference mit Francis Ford Coppola und Steven Soderbergh. Das Festival von Annecy liefert Animationsfilme und auch restaurierte Klassiker sind im Programm wie etwa die britische Bergsteiger-Doku „The Epic of Everest“ von 1924. Und sogar 360-Grad-Virtual-Reality Filme sind beim virtuellen Festival zu sehen, wie die in Venedig verdient mit einem Löwen ausgezeichnete nigerianische VR-Doku „Daughters of Chibok“.

Großer Auftritt für Kurzfilme

Gerade für kurze Formate bietet das Online-Festival eine gute Präsentationsfläche. So sind viele Shorts im Programm, auch von mittlerweile bekannten Namen wie Eliza Hittman („Forever's Gonna Start Tonight“) oder Mati Diop („Atlantique“, den sie später zum Langfilm adaptierte). „Wir wünschen all diesen wundervollen Künstler*innen, dass das Publikum ihre Werke bald wieder gemeinsam auf der großen Leinwand sehen kann“, schreibt das Berlinale-Leitungsduo, Mariette Rissenbeek und Carlo Chatrian dazu. Jedem Filmfan, der schon einmal in der Nähe einer kleinen oder großen Weltpremiere war, ist klar: die Stimmung eines Real-Life-Festivals kann auch das beste Online-Ereignis natürlich nicht ersetzen. Dennoch bleiben die virtuellen Tore hoffentlich auch in Zukunft offen. Denn die elitäre Exklusivität macht nicht den Zauber eines Festivals aus. 

Aber wenn am Freitag weltweit ein achtminütiger Essay-Film gestreamt wird, treffen sich die Realität der Bilder und die außerhalb wieder: „The Stories That Prepared Us“ erzählt mit Hilfe von Kinofilm-Schnipseln über die Corona-Pandemie.