Die Männer mit den goldenen Haaren haben ihr kein Glück gebracht. Dreimal hat sich die Ich-Erzählerin in attraktive Blondschöpfe verliebt, jetzt ist keiner mehr da und sie hadert mit ihrem Leben. Geplagt von Panikattacken und Putzzwang wird sie zur soziophoben Einzelgängerin, die kaum mehr aus dem Haus geht - bis sie in einer alten Zeitung zufällig auf den Namen eines Landsmannes stößt und beginnt, sein Leben zu recherchieren. Der ukrainische Historiker und Philosoph Wjatscheslaw Kasymyrowytsch Lypynskyj lebte allerdings rund 100 Jahre vor ihr, ist ein vergessener Volksheld, der vergeblich für die Unabhängigkeit der Ukraine gekämpft hatte: „Er war gefürchtet, weil er von allen menschliche Würde verlangte und darauf bestand, dass sie jedermanns Pflicht sei. Wer brauchte das schon? Ja, niemand mochte ihn, alle duldeten ihn.“ Aber die junge ukrainische Schriftstellerin in Wien und den idealistischen Freiheitshelden einte mehr als die Herkunft - beide litten an unglücklichen Beziehungen und an Atemnot, beide hatten Depressionen, beide landeten in Wien.

Die Bachmannpreisträgerin des Vorjahres Tanja Maljartschuk verwebt in ihrem 2016 auf Ukrainisch erschienenen Roman „Blauwal der Erinnerung“ geschickt eine fiktive und eine reale Lebensgeschichte zu einem poetischen Doppelporträt.

Akribisch recherchiert und sinnlich erzählt, besticht der Roman durch die Materialfülle der historischen Exkurse ebenso wie durch die feinfühlige Zeichnung der Seelenleben seiner Protagonisten. Der „Blauwal der Erinnerung“ ist eine gefräßige Metapher für die Zeit, die das Leben der Menschen „zermalmt wie Plankton“.

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Autobiografische Züge sind nicht zu übersehen, emigrierte doch Maljartschuk selbst 2011 von Kiew nach Wien, wo sie eifrig nach ukrainischen Spuren suchte. Diese fand sie etwa in der Szene der Kaffeehausliteraten der vorletzten Jahrhundertwende, in der sich auch ihr historischer Held Lypynskyj nach dem Scheitern der Unabhängigkeitsbewegung in seiner Heimat aufgehalten hatte.