Irgendwann ist aus dem Miteinander ein Nebeneinander geworden: unbemerkt, unausgesprochen und scheinbar unaufhaltsam. Dieser grausam fortschleichende Prozess der Entfremdung dürfte den meisten Menschen selbst nicht fremd sein.
Anne und Thomas, beide 50, sind die Protagonisten in Laura Freudenthalers zweitem Roman „Geistergeschichte“. Seit 20 Jahren gehen sie, die Französin und Klavierlehrerin, und er, der Kulturmanager, zu zweit durchs Leben. Sie wohnen in einer wunderschönen Wohnung in einem guten Wiener Bezirk, nennen ein Haus am See ihr Eigen, womit sie viele schöne Erinnerungen verbinden.

Eine Rivalin


Thomas ist oft abwesend und auch nicht wirklich bei ihr, wenn er physisch anwesend ist. Sie ortet eine Rivalin in ihrem Leben, eine Geliebte, die sie schlicht „das Mädchen“ nennt. Beweise hat sie keine, aber sie sucht in seiner Manteltasche nach Quittungen, die ihr Hinweise liefern sollen. „Mit dem Telefon trägt Thomas jedes Mal, wenn er kommt, das Mädchen in die Wohnung. Das Telefon ist ein trojanisches Pferd, das Thomas ständig bewachen muss.“
Wie ein Gespenst huscht die Obsession in ihren Alltag, ihr bürgerliches, gutes Leben bietet ihr plötzlich keine Sicherheit mehr, sie richtet sich in ihrer Einsamkeit ein, ist in ihrem Seelenunheil zu Hause, ständig in Gefahr, vom Wahn aufgefressen zu werden. In nüchternem Ton, stark verdichtet, erzählt die Salzburger Autorin, die in Wien lebt, von dieser Entzweiung. Freudenthaler bleibt – wie schon in ihrem intensiven Debüt „Die Königin schweigt“ aus dem Jahr 2017 – extrem nah an ihrer Protagonistin, leuchtet die innere Zerrissenheit, dieses diffuse Gefühlselixier, in aller Konsequenz mit stoischer sprachlicher Ruhe aus. Die Trennungen zwischen Realität und Imagination verschwimmen.

"Der Himmel eine Leinwand"


In thrillerartige Szenen driftet diese Prosa nie ab, die Autorin bleibt in der Schilderung der Einsamkeit sezierend und klar: „Der Himmel eine Leinwand, meist schmutzig zwischen Weiß und Grau und dunkleren Farben.“