Im Jahr 1770 kehrt Georg Kempf seiner schwäbischen Heimat den Rücken. Notgedrungen. In seiner Heimat herrscht entsetzliche Hungersnot, ein Ende ist nicht in Sicht. Er ist noch jung an Jahren, aber reich an bitteren Erfahrungen. Umso verheißungsvoller klingen all die Auswürfe der von Kaiserin Maria Theresia angekurbelten Propagandamaschine, die zur größten Umsiedelungen jünger Zeit führten.
Taktisch clever wollte die Monarchin die Randzonen ihres Reiches besiedeln. Die Lügen über Regionen, wo Milch und Honig üppig fließen und sich ein irdisches Schlaraffenland auftut, fanden wahrhaft fruchtbaren Boden. Donauabwärts geht die abenteuerliche Reise von Kempf und anderen Auswanderern, Donauschwaben genannt. Švaben hießen sie in ihrer neuen, fremden Heimat.

Die Geschichte der Vorfahren


Mit faszinierender Intensität entwirft Slobodan Šnajder ein an Kontrasten reiches Geschichten- und Geschichtspanorama, rund 250 Jahre umfasst es, bis in die Gegenwart reicht es. Als Basismaterial diente dem Autor die authentische Geschichte seiner Vorfahren, zu deren Schicksal die Verschickungen zählten und die behördlich verordneten Irrwege, Sackgassen, Weltkriegs-Inferno inklusive. Souverän, aber auch sarkastisch steht Šnajder als Chronist der Umbrüche über den Dingen, berührend und beklemmend sind all die von ihm ersonnenen Geschichten zur Geschichte eines Kontinents, der mehrmals am Rand des völligen Zusammenbruchs stand.

Zwischen den Zeiten


Mühelos pendelt der Kroate zwischen den Zeiten, nahtlos wechselt er ins Jahr 1941, hinein in den Judenhass und den Holocaust. Šnajder erspart seiner Leserschaft nichts. Aber enorm weit ist sein Horizont, imposant seine Kunst, dem halbwegs intakten Kleinen das oft klägliche große Ganze gegenüberzustellen. Er entlarvt, er enthüllt, er demaskiert. Mit Sätzen wie diesen: „Verlangt keinen zu hohen Grad an Kultur und Aufgeklärtheit von Menschen, deren Los es ist, im niederen Stand zu bleiben. Überfordert nicht deren Intellekt, denn sie würden dadurch nur ihre Lage erkennen und voll Bitterkeit die Arbeit verrichten.“

Worte als Waffen


Also sprach einst die Kaiserin. Aber es klingt vertraut, nur die Wortwahl verfeinerte sich. Šnajder belegt, dass Europas Geschichte immer wieder in der Sprache der Waffen geschrieben wurde, auch der Wortwaffen. Umso entwaffnender und bedeutungsvoller ist diese Reparatur des Denkens.