Ich habe ein eigenartig widersprüchliches Verhältnis zur Kirche, zum Gebäude wohlgemerkt, das Verhältnis zur Institution ist glasklar, denn aus derselben bin ich schon vor vielen Jahren ausgetreten, am Montag, kurz nachdem ich volljährig wurde und mir im Überschwang der Jugend noch am selben Abend auf einem Küchentisch eine kleine Seemannstätowierung auf den Fußknöchel stechen ließ. Die Gotteshäuser ziehen mich an und stoßen mich ab gleichermaßen. Ich mag die Idee, dem Glauben einen Ort zu geben mit Tür und Turm, eine konkrete Aufbewahrungsarchitektur herzustellen, in der ein Mensch mit seinen Sorgen und Dankbarkeiten geborgen ist, ihn auch sprichwörtlich zu überdachen, damit er in Ruhe vor der Welt seinen Gott am kosmischen Telefon anrufen kann.

Die Umsetzung der Inneneinrichtungsatmosphäre scheint mir im besten Fall erhebend in der katholischen Düsterkeit, niederschmetternd bedrohlich im schlechtesten. Die Dunkelheit ist Prinzip, das bis in die letzte Ecke reicht. Ich bewundere die Wucht an Gewalt, den Kreuzweg-Schmerz, die blutenden Körper, die Ästhetik der Macht, fühle mich aber selten wohl, bin fast dankbar für ein Heiligenbild, dem nicht nur das Leidende, aber auch etwas Weiches im Gesicht steht. Nur die goldenen Barockengel leuchten immer, und fliegen mit feisten Backen und speckigen Schenkeln gegen jede Schwerkraft wie Vögel durch die Luft, werden in so manchem Kirchenschiff zum schwirrenden Schwarm, der sich mal am Altar, mal an der Säule niederlässt.

Bei aller Bewunderung und allem Befremden halte ich es schlussendlich doch praktisch: Am liebsten flüchte ich aus der sengenden Sommerhitze in die Steinkälte unserer alten Kirchen, in denen die Böden und Wände wie Eisblöcke scheinen, und man in jedem Monat des Jahres dem Ort angemessen frieren kann. So pflichtbewusst ich mir mitunter auf Reisen bekannte Dome, Kapellen, Kathedralen anschaue, religiöse Festungen mit allen Mitteln der Kunst in die Zeit hineingemeißelt, so sehr liebe ich versteckte, unbeschriebene Kirchlein und Bethäuschen, die man nur durch Zufall am Wegesrand findet. Auf meinen Fahrten durch den Osten bin ich verzauberten Orten begegnet. Niedergegangene Klöster mit verbarrikadierten Türen und zerbrochenen Fensterrosen, die im vom Wind bewegten hohen Gras standen, oder schlichte Holzkirchen mit einem schindelbedeckten Zwiebelturm, die plötzlich auf einem Hügel im Nirgendwo auftauchten.

Einmal stolperte ich in ein kleines Gotteshäuschen, das schon mehr Ruine war, durch das Loch im Dach konnte man zwischen den Balken hindurch direkt in den Himmel sehen. Keine barocken Engel segelten durch die Luft, aber echte Vögel flogen durch den Altarraum, nisteten in den Ecken, saßen auf den morschen Bänken und sangen ihre Lieder zum Lob der Welt. Ich stand ganz leise da, fast andächtig, und fand die Funktion einmal mehr als erfüllt: hier war die Kirche wirklich jemandem Zuhause.