Seit im Jahr 2015, zum 20. Todestag von Patricia Highsmith, die herausragende Biografie von Joan Schenkar mit dem Titel „Die talentierte Miss Highsmith“ erschienen ist, beginnt kaum ein Artikel ohne Hinweis auf den ersten Satz dieses Buches. Auch dieser hier nicht. Der Satz lautet: „Sie war nicht nett.“

Das sitzt natürlich. Aber abgesehen davon, ob Nettigkeit bei Kunstschaffenden eine notwendige Eigenschaft sein muss oder nicht vielmehr ein Hindernis darstellt, ist sie doch oft nur eine Umschreibung für liebenswürdige Banalität: Patricia Highsmith war viel mehr als „nicht nett“. Sie war – und dafür gibt es zahlreiche Belege und Zeugen – schlicht eine menschliche Zumutung. Für sich selbst und für andere. Sie mochte keine Juden, sie verachtete Schwarze, sie demütigte Frauen (im Leben und in ihren Romanen), obwohl sie unzählige lesbische Beziehungen hatte.

Sich selbst mutete Highsmith einen exzessiven Alkohol- und Nikotinkonsum zu, ein ruhe- und rastloses Leben am Abgrund, das die Amerikanerin vorwiegend in Europa verbrachte. Dort, in Locarno, ist sie am 4. Februar 1995 auch einem Krebsleiden erlegen. Bezeichnend für ihre Hermetik auch ihre letzten Stunden. „Du solltest gehen“, sagte sie zu einer treuen Besucherin, schickte sie aus dem Krankenzimmer, um dann unbeobachtet zu sterben. „Alles Menschliche war ihr fremd“, schreibt Joan Schenkar.

War es das wirklich? Oder waren ihr die Menschen inklusive ihrer eigenen Person nicht vielmehr suspekt, ja, zuwider, weil sie genau wusste, dass dem Menschen nichts – keine Grausamkeit, keine Bösartigkeit, keine psychische Deformation – fremd ist? In fast allen ihren Büchern gibt es Situationen, in denen die scheinbare Normalität von einer Sekunde auf die andere entgleist und am Ende alle zerstört sind: Opfer und Täter.

Mit ihrer sowohl differenzierenden als auch schockierenden amoralischen Sicht hat Patricia Highsmith Begriffe wie Wirklichkeit, Projektion, aber auch Kunst infrage gestellt. Die Verbrechen selbst oder gar diejenigen, die sie aufklären sollen, haben sie dabei ebenso wenig interessiert wie Fragen nach Schuld und Sühne; ihre Leidenschaft galt ausschließlich den Tätern und dem Wahnsinn, der sich in ihren Köpfen abspielt. „Der Mord, das Morbide, das Anomale fasziniert mich“, notierte sie einmal in ihrem Tagebuch.

Geboren am 19. Jänner 1921 in Fort Worth, Texas, wuchs Patricia Highsmith als „Waise mit Eltern“ auf, wurde von der geliebt-gehassten Mutter und dem Stiefvater zwischen Land und Stadt herumgezerrt und immer wieder zur Großmutter abgeschoben. Sie absolvierte mit 19 Jahren das renommierte New Yorker Barnard College, arbeitete als Illustratorin und Modezeichnerin und gestaltete als deklarierte Kinderfeindin sogar ein Kinderbuch. Sie beschäftigt sich mit Sartre, Kafka, Camus – und hasste natürlich die Intellektuellen. „Stil war mir immer egal“, sollte sie Jahre später sagen.

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Die Autobiografie: Joan Schenkar. Die talentierte Miss Highsmith.
Diogenes, 1069 Seiten, 30,80 Euro.

Mit dem Roman „Zwei Fremde im Zug“ fing dann 1950 alles an. Ein Meisterwerk, ein Paukenschlag, der Beginn des Ruhms, wenngleich sich Highsmith in den USA nie übermäßig gut verkaufte und dort immer „nur“ als Krimi-Autorin galt. In Europa hingegen wurde sie als Literaterin ge- und verehrt, ihr giftiger Glanz lockte Schriftsteller (Peter Handke) und Filmemacher (Wim Wenders) an.

„Zwei Fremde im Zug“ wurde von Alfred Hitchcock verfilmt, zwei „Suspense“-Großmeister unter sich. Dennoch waren die zahlreichen Verfilmungen von Highsmith-Romanen, die folgen sollten, nie wirklich stimmig. Die optischen Eindeutigkeiten, die Hollywood verlangte, waren mit dem zerfransten Irr-Sinn, mit dem die Autorin ihre Figuren ausstattete, schwer bis gar nicht kompatibel.

Insgesamt 22 Romane und zahlreiche Erzählbände hat Patricia Highsmith zwischen 1950 und 1995 veröffentlicht. Doch alle ihre Interessen, Neigungen, Träume, Begierden, Obsessionen, aber auch all ihr Talent hat sie in einer Figur gebündelt und dort festgeschraubt: in ihrem Alter Ego Thomas Ripley, der Hauptfigur von insgesamt fünf Romanen.

Und in dessen Entwicklung respektive Devastierung spiegelt sich letztlich auch das Leben seiner Erfinderin wider: Anfangs ein Kleinkrimineller, dann ein charmanter, aber eiskalter Mörder und Betrüger, findet er sich zwar Jahre später als kultivierter Landhausbesitzer in Frankreich wieder, verfällt aber immer mehr der Verwirrung und Melancholie.

Es gab übrigens doch etwas, das die talentierte Miss Highsmith geliebt hat: Katzen. Und Schnecken. Letztere trug sie gerne in Handtaschen mit sich. Darin ein Salatkopf.

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Patricia Highsmith - eine kleine Buchauswahl:

Frauenliebe. Diesen Roman rund um die Liebe von zwei völlig unterschiedlichen Frauen schrieb Patricia Highsmith 1950 noch unter einem Pseudonym, erst 1990 stimmte sie einer Veröffentlichung unter ihrem Namen zu. Ihr einziges Buch mit einem „Happy End“.
Salz und sein Preis. Diogenes, 460 Seiten, 13,40 Euro.

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Traumpaar. Melinda und Vic sind ein Traumpaar,
wie füreinander bestimmt. Scheinbar. Als sie ihn dennoch zu verlassen droht, stimmt Vic zu, ihre Affären zu dulden. Scheinbar. Verfilmt 1981 mit
Isabelle Huppert und Jean-Louis Trintignant.
Tiefe Wasser. Diogenes, 403 Seiten, 13,40 Euro.

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Wahnwelt. Außergewöhnlich für Highsmith: Eine ambitionierte Frau steht im Zentrum, aber auch sie zerbricht und endet im Wahn.
Ediths Tagebuch. Diogenes, 508 Seiten, 13,40 Euro.

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Kultfigur. Der erste Ripley-Roman. Verfilmt mit Alain Delon
(„Nur die Sonne war Zeuge“, 1960), Remake mit Matt Damon (2000).
Der talentierte Mr. Ripley. Diogenes, 432 Seiten, 14,40 Euro.