Offenbar hat der Juroren-Protest gegen die Absage des Bachmann-Preises in Klagenfurt im ORF nun doch ein Umdenken bewirkt: Die "Tage der deutschsprachigen Literatur 2020" wird es nun doch geben - digital. "Als kritische Infrastruktur ist es aktuell oberstes Gebot des ORF, in jedem Corona-Ausbreitungsszenario sendefähig zu sein", hieß es am Abend in einer überraschenden Aussdndung des Senders: "Gemäß dieser Sorgfaltspflicht sind auch mittel- und langfristige Vorhaben verantwortungsvoll zu evaluieren. Aus diesem Grund hat das Landesstudio Kärnten aufgrund der geltenden Maßnahmen die klassische Durchführung der diesjährigen Ausgabe der Tage der deutschsprachigen Literatur ausgesetzt", hieß es darin erklärend.

Um jedoch "auch in dieser schwierigen Situation seinem kulturellen Auftrag und seiner Verantwortung nachzukommen", sei ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz einem Vorschlag der Kärntner  Landesdirektorin Karin Bernhard zur Durchführung einer Spezial-Ausgabe des renommierten Literaturfestivals gefolgt.

Unter dem Arbeitstitel „Bachmannpreis digital“, so die Mitteilung der Pressestelle, würden in den kommenden Tagen die Verantwortlichen des Landesstudios, der ORF-Kultur, von ORF.at und 3sat gemeinsam mit dem Generaldirektor das Konzept eines digitalen Bachmannpreises ausarbeiten, der im Internet stattfindet - mit Schaltungen, digitalen Lesungen und den gewohnten Preis-Kategorien, "sodass der Grundgedanke der Veranstaltung gewahrt bleibt, auch wenn die Veranstaltungsplattform heuer gänzlich neu ist."

In der Aussendung, die die Redaktionen am Montagabend knapp vor 21 Uhr erreichte, stellte Wrabetz fest, er freue sich „über die Initiative von Landesdirektorin Karin Bernhard und bin sehr stolz, dass die Landesstudios, die aktuell mit ihrer regionalen Berichterstattung wichtige Begleiter der Österreicherinnen und Österreicher sind, auch im kulturellen Bereich alles daran setzen, unverzichtbarer Partner der Kulturschaffenden zu sein. Mit vereinten Kräften werden wir in dieser herausfordernden Zeit Autorinnen und Autoren, Jurorinnen und Juroren sowie Leserinnen und Leser im digitalen Raum vereinen und einen Bachmannpreis 2.0 realisieren. Die Aufrechterhaltung des kulturellen Österreichs ist eine der zentralen Aufgaben des ORF, der wir mit zahlreichen aktuellen Angeboten umfassend nachkommen.“

ORF-Landesdirektorin Karin Bernhard, die am Nachmittag noch zur Absage festgehalten hatte: „Ich freue mich, dass Generaldirektor Wrabetz uns die Möglichkeit gibt, den Bachmannpreis 2020 in digitaler Form im Internet zu realisieren. Das ist ein wichtiges Zeichen über die Grenzen des kulturellen Österreich hinaus. Und so freut es mich, dass Klagenfurt auch heuer Nabel der Literaturwelt sein wird – auch wenn wir einander nicht physisch, sondern im Web treffen."

Überraschende Wende

Die Wende kam sehr überraschend, denn noch am frühen Abend war der Stand nach unseren Recherchen so:

„Nie wird der Bewerb so wichtig gewesen sein wie im Jahr danach“, sagte uns Hubert Winkels in einem Interview Der deutsche Literaturkritiker ist Vorsitzender des Bachmannpreises, und er sei überzeugt davon, dass 2021 in Klagenfurt wieder um den mit 25.000 Euro dotierten Preis gelesen wird, sagte er dabei: „Jetzt steht das Versprechen besonders fest im Raum.“

Im Gegensatz zu fünf seiner Mitjuroren, die sich in einem offenen Brief gegen diese Aussetzung ausgesprochen hatten, zeigte der 64-Jährige Verständnis für die Absage, die tagsüber noch galt: „Ich halte die Entscheidung des ORF, was das Live-Ereignis Bachmannpreis angeht, für unvermeidlich angesichts der gesundheitlichen Situation“, sagt Winkels, der sich gewünscht hätte, dass man die Jury in die Entscheidung eingebunden oder „wenigstens vor der allgemeinen Öffentlichkeit“ informiert hätte.

Der Forderung seiner Jury-Kollegen Klaus Kastberger, Brigitte Schwens-Harrant, Philipp Tingler, Michael Wiederstein und Insa Wilke, eine „alternative, mit den Ausgangsbeschränkungen zu vereinbarende Möglichkeit“ zu finden, stand er zwar im Gespräch mit der Kleinen Zeitung nicht ablehnend, aber doch zurückhaltend gegenüber. Unter anderem fand er die Skepsis seiner Mitjurorin Nora Gomringer – sie hat den offenen Brief ebenfalls nicht unterschrieben – nachvollziehbar, dass „bei einem funktionierenden Ersatz der Live-Darstellung die Kritiker einer TV-Ausstrahlung, die es ja von ORF bis ZDF gibt, Morgenluft wittern und auch künftig die Fernsehübertragung unterbinden wollen.“

ORF-Kärnten-Chefin Karin Bernhard sagte uns noch am Nachmittag, eine alternative Durchführung wäre angesichts der derzeitigen Situation ohnehin schwierig. Man arbeite in drei voneinander getrennten Teams, um den Sendebetrieb auch bei weiterer Ausbreitung des Virus aufrechterhalten zu können: „Priorität ist, die Menschen zu informieren, und das mit dem bestehenden Personal“, betonte Bernhard, die  davon ausgeht, dass „dieser Ausnahmezustand höchstwahrscheinlich mindestens bis Sommerbeginn beibehalten wird“. In ihrer Antwort an die fünf Juroren schrieb sie: „Um nur ansatzweise eine halbwegs würdige Übertragung durchzuführen, bräuchten wir Kameraleute und Techniker, die bei den einzelnen Protagonisten des Bewerbs vor Ort wären. Wackelige Handybilder oder verschwommene Skype-Bilder, die ohnehin permanent ausfallen, und krachende Mikrofone und Tonaussetzer sind keine Lösung für eine Veranstaltung dieser Größenordnung.“ Mit der Transferierung ins Digitale ist nun offenbar alles anders…