Wenn dieses Wort inzwischen nicht so virenbelastet wäre, müsste man ihn wohl als Querdenker bezeichnen - und als hochkreativen Quälgeist, der der rigiden Obrigkeit lustvoll gerne auf selbigen ging, Geist nämlich: Oswald Wiener, der theoretische Kopf der Wiener Gruppe, ist am Donnerstag an den Folgen einer Lungenentzündung gestorben.  Bekannt wurde Wiener durch zahlreiche Aktionen, sein literarisches Hauptwerk ist der Roman "die verbesserung von mitteleuropa". Zusammen mit Gerhard Rühm, H.C. Artmann, Friedrich Achleitner, Konrad Bayer gründete er in den 1950er-Jahren jene „Wiener Gruppe“, deren Ziel die Erneuerung der literarischen Aussage aus dem Material der Sprache und die Reflexion auf ihre Produktionsbedingungen war. Mit ihm hat Österreich einen unbequemen Avantgardisten verloren, der nie auf einen fahrenden Zug aufsprang, sondern lieber selbst die Geleise legte.

H. C. Artmann und Konrad Bayer, auch Mitglieder der "Wiener Gruppe"
H. C. Artmann und Konrad Bayer, auch Mitglieder der "Wiener Gruppe" © (c) IMAGNO/Franz Hubmann

1968 war Wiener Initiator und Teilnehmer der Aktion "Kunst und Revolution" (berühmt geworden unter dem Kürzel "Uni-Ferkelei")  an der Universität Wien, die als einer der Höhepunkte der hiesigen Studentenbewegung gilt. Wiener verbüßte eine Haftstrafe, flüchtete 1969 aus Wien (er war auch wegen Gotteslästerung angeklagt) und lebte als Gastwirt bis 1986 in Berlin.

Ein unruhiger und unbequemer Geist

Doch das geschriebene Wort, die Dichtung, das Sprengen von Normen und Konventionen waren ihm nie genug. Nach einem Mathematik- und Informatikstudium in Berlin wandte sich Wiener in künstlerisch-philosophischen Texten der Kognitionswissenschaft zu. Er reflektierte darin das Modell des durch die Kybernetik bewusstseinsveränderten Menschen. Die Kybernetik, auch als "die Kunst des Steuerns" beschrieben, wurde übrigens von einem anderen "Wiener" begründet - dem US-Mathematiker und Philosophen Norbert Wiener.

Oswald Wiener  lebte später im kanadischen Dawson. 1989 erhielt Wiener den Großen Staatspreis für Literatur. Von 1992 bis 2004 war er Professor für Ästhetik an der Kunstakademie Düsseldorf. Oswald Wiener war mit der Künstlerin Ingrid Wiener verheiratet. Der früheren Ehe mit der Künstlerin Lore Heuermann entstammen drei Kinder, eines davon ist die Köchin Sarah Wiener.

Aufbruch in die Moderne

Oswald Wiener wurde am 5. Oktober 1935 in Wien geboren, studierte Rechts- und Musikwissenschaften, afrikanische Sprachen und Mathematik. Der radikale ästhetische Zugriff der "Wiener Gruppe", die mit Collagen und Montagen, Sprachexperimenten und literarischen Kabaretts eine Brücke zwischen Anarchie und Philosophie, Kunst und Literatur schlug, sorgte für Aufsehen. 1959 vernichtete Wiener sein komplettes literarisches Werk und arbeitete in den folgenden Jahren als Computerexperte der Wiener Olivetti-Niederlassung.

Oswald Wiener in jungen Jahren
Oswald Wiener in jungen Jahren © KK

Kultur-Staatssekretärin Andrea Mayer zeigte sich vom Ableben Wieners tief betroffen: "Mit Oswald Wiener verlieren wir einen streitbaren Philosophen, einen erfolgreichen Wissenschaftler und vor allem einen leidenschaftlichen Künstler, der Kunstgeschichte geschrieben hat – denn mit ihm ist die österreichische Kunst und Literatur in die radikale Moderne aufgebrochen."

Buchtipps:

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Oswald Wiener. die verbesserung von mitteleuropa, roman. Jung und Jung, 224 Seiten, 25 Euro.

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Oswald Wiener. Literarische Aufsätze. Löcker Verlag, 220 Seiten, 22 Euro.