Von einer Frau namens Fikrie heißt es in diesem Roman an einer Stelle: „Sie war mit fesselndem Erzähltalent und blühender Phantasie gesegnet, wie auch mit der Gabe, tief in die Seelen zu schauen. Dort sah sie, was den meisten Menschen verborgen blieb.“ Nun, über all diese Gaben verfügt auch Antonia Bontscheva, deren Debütroman „Die Schönheit von Baltschik ist keine heitere“ sich zwar in die Gattung autofiktionale Literatur einreihen lässt, bei Bontscheva ist das Autobiografische aber nur das Grundgerüst, in erster Linie handelt es sich hier um einen wunderbaren Roman, in dem es um Zerrissenheit auf mehreren Ebenen geht.

Bontscheva und ihre Roman-Hauptfigur stammen aus Bulgarien. Ein Land, mit dessen archaischen und (post)kommunistischen Strukturen sie nichts am Hut haben, doch die Loslösung und das Weggehen fällt ebenso schwer. Die junge Frau landet im Westen und in den Armen eines Mannes – beides hinterlässt Narben und tiefe Unzufriedenheit. Als der Vater stirbt, kehrt die Protagonistin in die Heimat zurück und muss zugeben, dass die mitunter sehr verhaltensauffällige Familie noch immer Halt gibt. Jetzt gilt es herauszufinden, welche Verbindungen tragfähig sind – und welche Fäden zu lösen.

Wie Antonia Bontscheva, die selbst in Berlin Germanistik studierte und als Deutschlehrerin und Journalistin arbeitete, die Identitätsfindung ihrer Figur(en) darstellt, ist schonungslos ehrlich und gleichzeitig voll ironisch-lakonischem Witz. Vor allem die junge Frau ist eine Taumelnde zwischen den Kulturen, die sich auch selbst immer wieder im Weg steht, weil auch sie selbst eine Zersplitterte ist. Die alten Prägungen will sie abschütteln, neue hat sie noch nicht gefunden. Der Balkan schlummert tief in ihr, der „Westen“ lockt und widert gleichzeitig an. Und über alldem steht die tiefe Sehnsucht nach Verstehen und Verstandenwerden.

Baltschik liegt übrigens am Schwarzen Meer – und dort liegt überall ein hauchdünner Schmerz. „Die Schönheit von Baltschik ist keine heitere. Die Schönheit von Baltschik ist weise und irgendwie dramatisch.“ Was auf diesen Ort zutrifft, kann man auch auf diesen Roman umlegen. Er ist weise, dramatisch – und voll wärmendem Humor.

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Buchtipp. Antonia Bontscheva. Die Schönheit von Baltschik ist keine heitere. Frankfurter Verlagsanstalt,  413 Seiten, 25 Euro.