Ein Dutzend Reisen in Regionen der Einsamkeit, des gelebten Lebens, die weit hinter der Endstation Sehnsucht beginnen. „Die Welt gegenüber“, der neue Erzählband der Vorarlbergerin Eva Schmidt, zeigt, meist in Momentaufnahmen, das trügerische Wechselspiel zwischen der Suche nach vielleicht doch noch vorhandener Nähe, die sich in Wahrheit in unerreichbare Ferne verabschiedet hat.

„Es waren nicht viel mehr als Andeutungen von Leben, kleine Ausschnitte von Alltäglichem, zusammengesetzt auf kurzen Auftritten und spärlichen Gesten mir vollkommen fremder Menschen ...“ So heißt eine markante Passage in der ersten Erzählung, „Die Nacht“ betitelt. Vom Fenster einer Pension im englischen Badeort Brighton aus beobachtet eine Frau ein Pärchen im Haus gegenüber.

Sie versucht, Alltagsritualen Bedeutung abzuringen, und schwankt zwischen Mitleid, Trauer und flüchtigen Glücksgefühlen. Aber letztlich ist diese Neugier, diese sonderbare Anteilnahme nur ein Versuch, die eigene Isolation zumindest für einige Augenblicke zu verdrängen oder zu vergessen.

Voyeurismus und Anteilnahme

Dieses Motiv von alleinstehenden, mehrheitlich älteren Menschen aus dem Fundbüro des Lebens, die am Fenster stehen, ihre Nachbarn beobachten, teils aus Neugier oder Voyeurismus, teils aus Anteilnahme und genährt durch die vage Hoffnung, vielleicht in Kontakt treten zu können, kehrt mehrmals wieder in diesen Auftritten von Randexistenzen, die aus dem Irgendwo kommen und in das Nirgendwo verschwinden. Gescheitert, verloren, betrogen oder fast blindlings auf dem Weg ins private Unglück.

Anscheinend nüchtern und distanziert ist der Erzählton, und doch ist er geprägt durch Empathie, aber auch durch bedrohliches Hintergrundrauschen. So etwa in der Erzählung „Das Fehlende“. Ein Mann marschiert mit einem gutgläubigen Buben zu einer einsamen Almhütte. Die Mutter des Buben ist drogensüchtig, der Mann verachtet sie nicht nur deshalb, aber er lügt seinen jungen Begleiter mehrmals an. Der Rest? Bleibt offen, lässt Ahnungen aller Art zu, positive ebenso wie negative, es gehört zum Spiel mit der Ungewissheit, das Eva Schmidt perfekt beherrscht.

Wer ihr in die „Welt gegenüber“ folgt, gelangt rasch zur Erkenntnis, dass er sich mittendrin in einer nahe an der Realität angesiedelten Erzählwelt befindet – entgeistert, berührt, betroffen. Umringt von einem tauben Mann von der Tankstelle, einem todkranken Schauspieler, einem potenziellen Amokläufer und – unsichtbar im Hintergrund – einer Autorin, die keinerlei spektakuläre Ereignisse benötigt, um ungeheuerliche Intensität zu erzeugen. Große Erzählkunst; sie kommt von fern, sie geht ganz nah.

© KK

Buchtipp: Eva Schmidt. Die Welt gegenüber. Jung und Jung,
224 Seiten, 22 Euro.