Bei den Wiener Festwochen soll die erste Opernregie von Theatermacher Milo Rau - wenn möglich - Ende Mai im Theater an der Wien zu sehen sein. Am Freitag feierte die Koproduktion "La Clemenza di Tito" (Die Milde des Titus) bereits an der Oper Genf als Livestream Premiere. Mozart als drastische Gegenwartsliteratur, die "Gnade" des Titus als selbstverliebte moralische Heuchelei eines Bobos, die Bühne ein Tribunal künstlerischer Eitelkeit: Milo Rau rückt dem Werk gründlich zu Leibe.

"Kunst ist Macht" heißt es auf der Leinwand, die inmitten einer zerstreuten Workshop-Atmosphäre auch immer wieder kleine Filme zeigt oder die Bilder jener Kameras übernimmt, die lässig auf der Bühne herumgetragen werden. Schlaglichter auf die Figuren, die Promis einer künstlerischen Elite, die sich in ihrer Blase von Weltoffenheit und Toleranz moralisch in Überlegenheit wähnen, sich auch gerne mal in der Wohnwagensiedlung blicken lassen, wo die Flüchtlinge hausen, die großkotzig weinen, wenn sie Zeugen brutaler Gewalt werden, die zuhören, wenn Statisten der Inszenierung nach der Pause ihre eigene Fluchtgeschichte erzählen. Um dann zur künstlerischen Verklärung zu schreiten. Letztlich ist die Szene eben doch nur ein Atelier. Man könnte auch sagen: Theater.

Geplagt, aber guten Willens

Der Mordversuch von Sextus an Titus, das Ringen des nur knapp dem Tod entronnenen Kaisers um Milde gegenüber seinen aufrührerischen Untertanen ist als von Mozart geadelter musikalischer Durchbruch einer aufgeklärten Regentschaft lesbar, als heller Schein der Toleranz in dunklen Zeiten. Musik, die Menschen auf Augenhöhe bringt als Menschen, geplagt, aber guten Willens. Rau macht mit dem Stoff mehr als nur ihn in die Gegenwart zu transponieren. Er stellt im Konzept der Gnade vor allem das Heuchlerische zur Schau, indem es Hierarchien zementiert, statt sie zu mildern. Dabei verlässt er die Pfade des Librettos mitunter völlig, unterlegt via Untertitelung einen eigenen Text, erzählt darin die persönlichen Geschichten der Darsteller, der Statisten, textet historische Zusammenhänge, lässt Krieg, Vertreibung, Völkermord herein als lautlosen Teppich unter den Arien.

Dabei kann einen mitunter das Gefühl beschleichen, dass sich der Schweizer Theaterautor, Regisseur und Filmemacher mit der Musik eher auf einen Modus Vivendi geeinigt hat, als ihre Deutungshoheit zu erforschen. Mit dem jungen russischen Dirigenten Maxim Emelyanychev entsteht ein schlanker, vielfach nüchterner Klang, der die Hinterhofatmosphäre der Bühne als Würze in sich aufzunehmen weiß. Bernard Richter gibt den Tito als feschen Künstlerfürst im Hipster-Look und legt gesanglich über den Verlauf des Abends deutlich an Farbe und Tiefenschärfe zu. Anna Goryachova als Sesto und Serena Farnocchia als Vitellia versprechen für eine - Daumen gedrückt - Live-Premiere in Wien packende Arienmomente, die sich per Video nur ungenügend Raum verschaffen können.

Die musikalische Leitung der Wiener Vorstellungen liegt bei Matthews Halls, es spielt das Mozarteumorchester Salzburg und singt der Arnold Schoenberg Chor. Derzeit geplant sind Aufführungen ab dem 21. Mai, Karten gibt es ab 17. April zu kaufen. Am 15. April wollen die Wiener Festwochen ihr gesamtes Programm bekanntgeben.