Sie könnten unterschiedlicher nicht sein. Die beiden Pop-Künstlerinnen Miley Cyrus und Benee. Cyrus kommt aus dem Land der Sterne (USA), Benee alias Stella Rose Bennett stammt aus Neuseeland. Ja, richtig, dort, wo „Herr der Ringe“ gedreht wurde! Schon alleine aufgrund der geografischen Lage ergeben sich für die beiden Sängerinnen große Unterschiede. Die geborene Destiny Hope Cyrus hat sich ihre Karriere in einem Land aufgebaut, das sich als Nabel der Welt sieht, in der Illusionen und Träume Popkultur prägen und in der die reine Vorstellung die künstlerische Vorstellung vorgibt.

Bennett hingegen wuchs auf einer Insel auf, die am Rande der Weltkarte Platz findet und sich auch gerne als solche inszeniert. Weit weg vom Schauer des übrigen Weltgeschehens ist dieser Antipoden-Boden noch unversehrt und frisch. Während die 20-jährige Benee mit ihrem gerade veröffentlichten Debütalbum „Hey u x“ bereits jetzt als adoleszente Pop-Hoffnung gehandelt wird, lastet der 27-jährigen Miley Cyrus, die am kommenden Freitag ihr Album „Plastic Hearts“ veröffentlicht, nach wie vor das Image der naiv-lasziven Göre an. Als Disney-Schauspielerin stand die Tochter von Country-Star Billy Ray Cyrus bereits als Kind im Scheinwerferlicht. Sie verkörperte jedes amerikanische Klischee. Cowboy-Freiheit, Lagerfeuer-Seligkeit, Highschool-Herzschmerz.

In der Sitcom „Hannah Montana“ spielte sie das schüchterne Mädchen, das abends zur mutigen Sängerin mutiert. Am Morgen danach ist Schluss mit lustig. Das Mädchen ordnet sich wieder unter. 2015 vollzog Cyrus mit dem grandiosen Pop-Blockbuster „Bangerz“ die Häutung im echten Leben. Schlangen häuten sich an spitzen Gegenständen. Auch Mileys Häutung ging mit einer Spitze gegen die US-Popmaschinerie einher. Sie ritt fortan nicht mehr schüchtern auf Tieren, sondern in sexy Pose auf Abrisskugeln. Mit ihr war nicht mehr gut Pferde stehlen, dafür aber schlecht Kirschen essen. Sie zeigte sich nackt; so nackt, dass sie selbst den obligatorischen Sexfaktor der Musikbranche hinter sich ließ. Die Provokation wird bis heute als naive Aufmerksamkeits-Hascherei abgestempelt. Dass Cyrus, mal im Rap, mal im Country und derzeit im 80er-Rock-Kostüm großartige Songs ohne peinliche Anbiederung schreibt, wird gerne vergessen. Dadurch wurde Künstlerinnen wie Billie Eilish oder Benee erst der Weg geebnet.

Sie machen und tragen, was sie wollen. Benee kleidet sich in Blusen aus Omas Kleiderschrank und burschikosen Anzügen aus Papas Ballzeiten. Sie singt seufzend hoch und tief-knurrend, schreit, haucht, flüstert. Völlig selbstverständlich hat die Neuseeländerin ihre Klang-Küche außerhalb des natürlichen Genre-Habitats angelegt. Auf ihrem Album „Hey u x“ zeigt Benee, dass die Musik des Untergrunds auch für die große Bühne verwendet werden darf. Der Song „Supalonely“, der während des ersten Lockdowns zum weltweiten Isolations-Hit avancierte, kommt mit verträumten Schlafzimmer-Akkorden aus, auf „Sheesh“ taucht die Sängerin in bebende Techno-Atmosphäre, das Lied „Plain“ ist mit seiner rhythmischen Hip-Hop-Verzierung nicht der einzige mutige Widerspruch auf dem Album.

Miley Cyrus hat im Vorfeld ihres neuen Albums daran erinnert, welche ungeahnten Möglichkeiten die Welt des Pop bietet. „Sie ist nicht nur eine Frau, sie ist alles, was du sein möchtest.“ Die Welt des Pop: Sie ist geschlechter-, konventionen- und genrefrei. Sie hat niemandem etwas zu befehlen. Pop muss nur gut sein.