Anmerkung: Dieses Interview ist das letzte Gespräch mit Alfred Kolleritsch und seinem Mitherausgeber Andreas Unterweger, das die Kleine Zeitung mit ihm geführt hat - es erschien am 27. November 2019. Aus Anlass seines Todes stellen wir es hier noch einmal online.

Herr Kolleritsch, Herr Unterweger: Auf dem Schreibtisch vor Ihnen türmen sich Texte. Werden die „manuskripte“ derart mit Beiträgen überhäuft?

ANDREAS UNTERWEGER: Wir erhalten im Schnitt fünf Texte am Tag, in Summe sichten wir also tatsächlich enorm viele.

Das heißt, den „manuskripten“ geht es blendend?

UNTERWEGER: Wenn Sie so wollen. Die „manuskripte“ werden nächstes Jahr 60 Jahre alt, und an Texten herrscht kein Mangel.

Komponieren Sie die Ausgaben intuitiv oder nach Vorgaben?

UNTERWEGER: Meistens ergibt sich die Zusammenstellung aus einigen Notwendigkeiten. Es gibt Texte, die man nicht aufschieben kann, weil es sich zum Beispiel um Vorabdrucke oder Auszüge aus Romanen handelt. Dann gibt es Texte, die uns beiden besonders gefallen, auch die haben dann Priorität. Zudem sollte das Verhältnis zwischen Prosa und Lyrik ausgewogen sein. Manchmal setzen wir kleine Schwerpunkte oder heben Gattungsgrenzen auf. Aber feste Regeln gibt es nicht.

Die „manuskripte“ waren und sind stets Gradmesser für die Lage der Gegenwartsliteratur. Experimentellere Texte, die früher die Hefte prägten, sind eher in den Hintergrund gerückt, oder?

ALFRED KOLLERITSCH: Das Experimentelle hat von selbst abgenommen. Es gibt da immer ein merkwürdiges Auf und Ab.

Was sind aktuell die Hauptthemen in den zugeschickten Texten?

UNTERWEGER: Vieles ist belletristisch. Wir bekommen sehr viele erzählende Texte, die einem ziemlich rasch zum Hals heraushängen. Zumal viele Geschichten völlig belanglos sind. Uns ist da schon der sprachliche Gehalt sehr wichtig.
KOLLERITSCH: Ja, es kommen mehr Haus- und Hoferzählungen. Oft gut geschrieben, aber es gibt eigentlich keinen Grund, sie bei uns zu veröffentlichen.

Wie kommt es dazu? Wird da von den Buchverlagen zu viel auf Breitenwirksamkeit geglättet?

UNTERWEGER: Die Verlage haben sich schon sehr verändert, das ist eine nicht unbedingt erfreuliche, aber natürliche Entwicklung durch den Markt.

Liegt es auch daran, dass die Leute immer weniger Lyrik lesen?

KOLLERITSCH: Im Gegenteil! Es gibt ja sehr viele neue Arten von Lyrik. Denken Sie an die Jandl-Tage in Mürzzuschlag. Oder an Friederike Mayröcker, an ihre Mischung aus Prosa und Lyrik. Ihr gelingt ja eigentlich so eine Art Bilderpoesie.
UNTERWEGER: Sie wird momentan auch oft imitiert, das fällt schon sehr auf. Wir haben im aktuellen Heft Lyrik aus sieben Ländern. Alles großartig, alles völlig unterschiedlich, die Lyrik lebt momentan also wirklich. Auch wenn sie wohl ein Nischenprodukt bleibt.

Gibt es eigentlich schon Pläne zum 60er der „manuskripte“ im kommenden Jahr?

UNTERWEGER: Es wird im April im Grazer Literaturhaus ein Symposion zu den „manuskripten“ geben. Den Plan für eine Ausstellung dort mussten wir leider wieder aufgeben.

Warum das?

Es gab für das Jubiläum Unterstützung durch den Bund, aber kaum von der Stadt Graz oder vom Land Steiermark.

Seltsam. Man muss nur das aktuelle Heft durchblättern, um die Bedeutung der „manuskripte“ zu erkennen: Texte von Paul Nizon, Lydia Davis, Olga Flor, Lucas Cejpek, Uta Gosmann, Fiston Mwanza Mujila, Christoph Dolgan ...

UNTERWEGER: Ja, es gibt viele Autorinnen und Autoren, die regelmäßig für uns schreiben. Dazu zählt zu unserer Freude auch Friederike Mayröcker. Ihre Texte lehnen wir natürlich nie ab. Prinzipiell aber ist es eine sehr große Bandbreite, die nach wie vor die „manuskripte“ auszeichnet. Bei der Präsentation des neuen Heftes wird zum Beispiel Valentina Colonna nicht nur Gedichte lesen, sondern auch Klavier spielen.