Diesmal zahlte es sich aus beim Wettbewerb bis zum letzten Tag zu warten. Denn mit "Irradies" ("Bestrahlt") und "Es gibt nichts Böses" wurden zuletzt zwei emotional besonders aufwühlende Filme gezeigt. Der Iran gehört zu den Ländern mit den meisten Hinrichtungen weltweit. "Es gibt nichts Böses" des iranischen Regisseurs Mohammad Rasoulof lässt sich als klares Statement gegen die Todesstrafe lesen.

Es berührte bei der Medienkonferenz nach der Pressevorführung, den leeren Platz auf dem Podium mit dem Namensschild des Regisseurs zu sehen. Rasoulof habe ein zweijähriges Arbeitsverbot und dürfe den Iran nicht verlassen, sagten seine Produzenten. Über die Produktionsbedingungen für den trotzdem im Iran gedrehten Film wollten sie sich nicht äußern, ließen aber durchblicken, dass diese schwierig gewesen seien. "An seiner Stelle arbeiten heute junge Leute, die Nein zur Zensur sagen", erklärte Co-Produzent Kaveh Faman.

Ein Alltag mit der Todesstrafe

In vier voneinander unabhängigen Episoden erzählt Rasoulof von einer Gesellschaft, in der Todesstrafe zum Alltag gehört und vom tiefen menschlichen Leid, das Exekution verursacht. Nicht nur bei den Angehörigen der Opfer, sondern auch bei den Exekutoren, oftmals wehrpflichtigen Soldaten. In der ersten Episode werden die Zuschauer buchstäblich bis zur letzten Sekunde auf die falsche Spur geführt. Die vielfältige Verstrickung in Schuld und Verantwortung lassen den Film zu einem flammenden Plädoyer für Menschenwürde und Recht auf Leben werden.

In der vierten Episode spielt die Tochter des Regisseurs, Baran Rasoulof, mit. "Ein Teil davon ist das Spiegelbild meines Verhältnisses zu meinem Vater", sagte sie über ihre Filmfigur. "Ähnliches musste auch ich durchmachen, es war teilweise meine Geschichte." Der Schauspieler Kaveh Ahangar wollte nichts Politisches in dem Film sehen: "Es sind ganz persönliche Ereignisse, es zeigt, dass wir als freie Menschen entscheiden können", sagte er. "Ich glaube nicht, dass der Film eine Welle im Iran in Gang setzen soll." Produzent Faman hingegen meinte: "Wir können nicht verneinen, dass die Unterdrückung in unserer Gesellschaft eine sehr aggressive Art angenommen hat."

Ähnlich argumentierte der Regisseur der französisch-kambodschanischen Produktion "Irradies", Rithy Panh: "Das Totalitäre schreitet überall in der Welt voran", sagte er. Gegen diesen Totalitarismus aufzutreten sei auch eine der Aufgaben des Kinos. Panhs Beitrag ist der einzige Dokumentarfilm des diesjährigen Wettbewerbs. Doch das stimmt so nicht, handelt es sich doch eher um ein Kunstprojekt.

Die Bilder des Krieges

Rithy Pan komponiert schockierende Bilder der Folgen von Krieg und Zerstörung, fast ausschließlich Archivaufnahmen, mit knappen poetischen Texten. Die Leinwand ist meist dreigeteilt, vervielfacht damit das Grauen, das die erschütternden Bilder zeigen: Entstellte Gesichter, ausgemergelte Körper in diversen Lagern, Massenexekutionen, zitternde Körper, Leichenberge, über die eine Raupe Erde wälzt. Von Hitlers KZ-Industrie bis zum kambodschanischen Genozid der Roten Khmer, vom Feuersturm über Dresden bis zu Hiroshima: Unzählbar die Unbeteiligten der Kriege, die von diesen gefressen werden. Es sind grausame Bilder, ein entschiedenes "Nie wieder" evozieren oder bestärken: Jede Medizin schmeckt bitter. Denn Pan schont das Publikum bei der Auswahl seiner Motive nicht.

Wird zumindest einer der beiden letzten Beiträge dieses Berlinale-Wettbewerbs bei den Bären-Preisen berücksichtigt, dann hat die Jury sowohl künstlerisch als auch politisch entschieden. Auf jeden Fall wäre es aber verwunderlich, würden diese zwei Beiträge bei der Verleihung leer ausgehen.