Herr Professor Jenewein, warum muss ich als Führungskraft ihrer Meinung nach wissen, wie es um die Gefühlswelt meiner Mitarbeiter steht?

WOLFGANG JENEWEIN: Wenn ich der Meinung bin, meine Mitarbeiter sind Erfüllungsgehilfen, muss ich es nicht wissen. Dann muss ich aber verdammt schlau sein und im richtigen Moment die richtigen Dinge initiieren. Dann muss ich mich in die Lage der anderen versetzen können, deren Gefühle und Vorbehalte, Ängste, Sorgen und Leidenschaften kennen.

Wie motivieren Sie denn Chefs, die das nicht so sehen, sich zu verändern?

Ich stelle fest, dass viele gar nicht so resistent sind, wenn sie richtig abgeholt werden, schlimm ist nur das „Du musst dich jetzt verändern“, das hört keiner gerne und macht dann schnell zu. Wir arbeiten viel mit Reflexion und Spiegelung des eigenen Verhaltens - denn viele beurteilen sich selbst nach ihren Absichten, andere beurteilen uns aber nach unserem Verhalten. Das ist häufig ein Aha-Effekt. Manche Führungskräfte spielen im Unternehmen auch eine Rolle und führen so, wie ihr Chef oder wie sie denken, dass das gewünscht sei. Zu Hause in der Familie oder im Sportverein führen sie ganz anders. Solche Erkenntnisse bringen die Manager zum Umdenken.

Wie motiviert man denn die junge Generation, von der gesagt wird, sie habe ein ausgeprägtes Freizeitverständnis?

Ich glaube, das liegt vor allem daran, dass die Strukturen in Unternehmen oft nicht zum Weltverständnis der jüngeren Generationen passen. Oft hemmen starre Prozesse und Hierarchien die jungen Menschen und so suchen diese dann außerhalb der Arbeit nach Erfüllung. Die digitale Welt, aus der die junge Generation kommt, ist hierarchiefrei. Hier gibt es Instant Appreciation und Gratification. Wenn man etwas postet, bekommt man sofort Rückmeldung - I like, I dislike. In Unternehmen bekommt man diese Rückmeldung meist nur einmal im Jahr beim alljährlichen Mitarbeitergespräch. Meine Überzeugung ist: Wenn die junge Generation Sinn, Spaß finden würde, ihre Individualität, die sie in ihrer Jugend ausleben konnte, auch im Unternehmen ausleben könnte, würde sie nicht überlegen, wann die Arbeit endlich vorbei ist und man nach Hause gehen kann. Ich kenne viele, die ihren Job gefunden haben und Tag und Nacht arbeiten.

Wolfgang Jenewein lehrt an der Universität St. Gallen
Wolfgang Jenewein lehrt an der Universität St. Gallen © Jenewein

In Hinblick auf die Fußball-WM - soll ich einen Kapitän in meinem Team installieren oder braucht das ideale Team keinen?

Es braucht vor allem starke Persönlichkeiten, Menschen, die auch einmal ihre Meinung sagen, Ecken und Kanten haben, aber immer im Interesse des Kollektivs. Ich bin der Meinung, Charakter ist wichtiger als Charisma. Es braucht Spieler, die für ihre Überzeugungen einstehen. Jedoch darf das „Ich“ jedes Einzelnen nicht größer als das „Wir“ werden. Da muss man als Trainer oder Chef ein gutes Gespür haben. Die Frage, die man sich dabei stellen muss: Ist man trotz oder wegen dieser starken Persönlichkeit so erfolgreich?

Warum brauchen Unternehmen Ihrer Meinung nach eine kollektive Intelligenz - also mehr Wir und weniger Ich?

Das Umfeld, in dem sich Unternehmen bewegen, wird immer turbulenter. Man spricht auch von der VUKA-Welt - volatil, unsicher, komplex und ambivalent. Wer in so einem Umfeld wirtschaftet, wird schnell erkennen, dass ein Modell, in dem der Chef vordenkt und die Mitarbeiter seine Vorgaben abarbeiten, nicht mehr erfolgreich sein kann. Es braucht die Vielfalt der Ideen des Teams, um bessere, nachhaltigere Lösungen zu finden. Der Chef sollte in einem VUKA-Umfeld mehr die Intelligenz der Mitarbeiter moderieren, als zu dozieren, und so sein Team zu Hochleistung führen.

Eine dieser Veränderungen sollte es sein, dass die Führungskraft der Zukunft mehr dem Typus des Expeditionsleiters gleichen sollte, wie Sie in Ihrem Buch schreiben - warum das?

Das muss man immer in Kontrast zum Puppenspieler sehen, der den ganzen Tag darauf achtet, dass der Plan umgesetzt wird, dass es keine Abweichungen gibt, der die Puppen tanzen lässt, mit Belohnung und Bestrafung. Der Expeditionsleiter ist einer, der versucht, das Team zu führen, indem er Lust auf den Berg, die Herausforderung macht. Er hat das große Bild der Bergerklimmung vor Augen und kann es den Expeditionsteilnehmern inspirierend vermitteln. Er weiß, wen er wie behandeln muss, damit er den Gipfel erreicht. Der Expeditionsleiter hilft den Menschen, besser zu werden, in Dingen, die für sie relevant sind und im Einklang mit den Unternehmenszielen stehen.

Es gibt auch übermotivierte Mitarbeiter, die so lange Richtung Gipfel rennen, bis sie ausgebrannt sind - wie lenkt man das in die richtigen Bahnen?

Wenn Menschen ihre Arbeit gern machen, wenn sie im Einklang mit ihren Potenzialen und Stärken steht, dann werden sie auch mehr arbeiten, ohne dass sie sich leer oder ausgelaugt fühlen. Ich vergleiche das immer mit einem Athleten, der für seinen Sport brennt. Man muss nur aufpassen, dass er nicht übertrainiert. Da braucht man ein Korrektiv, einen Coach, der sagt: Weniger ist in dem Moment mehr, nimm dich zurück. Achte auf deine Energie! Da geht es um die Loyalität und das In-Kontakt-Bleiben mit sich selbst.

Zum Abschluss: Wie motiviert man sich als Chef, wenn man keine Sympathie gegenüber einem Mitarbeiter empfindet?

Wenn man Menschen nicht mag, wird es schwierig. Lassen Sie es mich provokant formulieren: Es gibt zwei Arten von Führungskräften. Die einen, die sagen, Menschen sind schwierig, insbesondere Mitarbeiter. Sie machen Fehler, Müll und Ärger und ich muss dafür sorgen, dass das so wenig wie möglich passiert. Und die anderen, die Menschen mögen, an sie glauben und denken, dass sie unabhängig von Alter und Herkunft unheimliche Potenziale haben. Diese Potenziale versuche ich zu finden wie ein Trüffelschwein - als Chef suche ich nach den Trüffeln. Mit der Einstellung ist vieles möglich. Und nur mit dieser Einstellung kann man Hochleistung erzielen.