"Wir putzen hier nicht, sondern reinigen“, stellt Sonja Fantini, Direktorin der Gebäudereinigungsakademie in Wien-Liesing, zur Begrüßung gleich einmal klar. Kurze Enttäuschung macht sich in mir breit. Purer Pragmatismus, aber kein wohlbehütetes Geheimnis für einen reinen, organisierten Haushalt werde ich hier erfahren. Dafür aber Lehrlinge treffen, deren Aufgabengebiet weit über das alltägliche Beseitigen von Schmutz und Dreck hinausgeht.

Systemrelevanter Beruf, der unsichtbar ist

Die Liste der Charaktereigenschaften der verschiedenen Stoffe ist lang, die Ratlosigkeit groß.
Die Liste der Charaktereigenschaften der verschiedenen Stoffe ist lang, die Ratlosigkeit groß. © Oliver Wolf

Hier, in Europas modernstem Ausbildungszentrum für Gebäudereinigung, Hausbetreuung und Schädlingsbekämpfung werden Menschen ausgebildet, die speziell in der Coronakrise systemrelevant sind. Im ständigen Kontakt mit Viren, Bakterien und Erregern sorgen sie für die ordnungsgerechte Reinigung von OP-Räumen, Laboren oder U-Bahn-Wagen. Beachtung schenkt man ihnen jedoch wenig. Niemand kann sie sehen, aber sie begleiten uns auf Schritt und Tritt.Zeit für einen Selbsttest. Sonja Fantini führt mich in den ersten Simulationsraum. Was zunächst aussieht wie das Innere eines Baumarkts, ist in Wirklichkeit der Übungsraum für die fachmännische Behandlung von Böden. Schließlich muss das Handwerk von Grund auf gelernt werden. Holz- und Steinplatten strecken sich Richtung Plafond. Ein Dutzend Simulationszimmer, alle mit einem anderen Fundament ausgestattet, warten darauf, richtig gesäubert zu werden. Marmor, Linol, nicht beschichteter, leitfähiger PVC. Die Liste der Charaktereigenschaften der verschiedenen Stoffe ist lang, meine Ratlosigkeit groß.

Osmose und Ph-Wert

Aber beim geölten Holzboden kann ja eigentlich nichts falsch laufen? Sonja Fantini verrät mir in ihrer bestimmten, aber zu keiner Zeit unfreundlichen Art, dass ich mich gerade gewaltig irre. „Das Mikrofasertuch ist für diesen Boden nicht geeignet. Es entzieht dem Holz das Öl“, erklärt sie mir. Eine Lehrlingsgruppe vis-à-vis beobachtet mich. Ihre Blicke bekunden Mitleid. Mit stattlichen Bürsten-Maschinen scheuern die Lehrlinge den Grund. Flaschen mit chemischen Bezeichnungen, zu abstrakt in ihrer Schreibweise, um sie überhaupt richtig auszusprechen, stehen bereit. Wörter wie Osmose und PH-Wert, die ich zuletzt im gymnasialen Biologie-Unterricht vor sechs Jahren gehört habe, fallen. „Die Lehrlinge müssen chemisches und biologisches Wissen anwenden. Das kräftigste Putzmittel hilft nicht, wenn ich es zu lange einwirken lasse oder zu viel davon verwende“, betont Fantini.

Die Lehrlinge müssen chemisches und biologisches Wissen anwenden können
Die Lehrlinge müssen chemisches und biologisches Wissen anwenden können © Oliver Wolf

Blutspuren und U-Bahn-Waggons

Fazit: Weder ich glänze noch der von mir behandelte Boden. Als Nächstes führt mich Fantini in einen Gang, der einem Filmstudio gleicht. Eine Industrie-Küche, ein Hotelzimmer, ein Spa-Bereich, ein Labor, ein OP-Zimmer sowie ein U-Bahn-Waggon sollen von mir wieder in Schuss gebracht werden. Bevor ich den Versuch starten darf, gibt mir die Direktorin einen Einblick in das Basiswissen der gewerblichen Reinigung. Stoffgebiet: der Sinner’sche Kreis. Dieser regelt das Zusammenspiel von vier Parametern – Mechanik, Zeit, Temperatur, Chemie –, die den Erfolg eines Säuberungs- und Desinfektionsvorganges bestimmen. In der Praxis bedeutet das:

Ich muss bei meiner nächsten Aufgabe wissen, welchen Stoff ich mit welcher Chemie wie lange mit einer gewissen Methode bearbeite. Im Falle des Spa-Bereichs leiste ich mir den ersten Ausrutscher. Zwar gehe ich vorbildlich mit Desinfektionsmittel gegen Blutspuren vor, vergesse dabei aber wesentliche Reinigungsschritte davor. „Es ist ein weitverbreiteter Irrglaube, dass Desinfektionsmittel ein Allzweckreiniger gegen Erreger sind“, erklärt mir Fantini.

Bakterien am Smartphone

Bei all dem Wissen um Keime und Erreger, das mir in der letzten halben Stunde nähergebracht wurde, stellt sich mir langsam die Frage: Wie soll ich je wieder ohne ein Gefühl von Ekel und Angst den Tag meistern? Wie den nächsten Besuch im Hallenbad wagen, ohne vorher die Anlage gründlich gereinigt zu haben? Sonja Fantini schmunzelt. Sie versteht meine Bedenken. Das Schild auf der Toiletten-Tür steigert meine Paranoia ins Unermessliche. „Auf Ihrem Smartphone befinden sich mehr Keime als auf jeder Klobrille“, steht dort. Ich versuche, die Botschaft positiv zu deuten. In Zukunft werde ich zumindest das nächtliche Internet-Surfen per Handy zu vermeiden wissen.

Sonja Fantini, Direktorin der Gebäudereinigungsakademie
Sonja Fantini, Direktorin der Gebäudereinigungsakademie © Oliver Wolf

Kapitulation im OP-Raum

Die nächste Aufgabe führt mich in einen echten U-Bahn-Waggon. Schließlich sollen die Auszubildenden das erlernte Theorie-Wissen auch praktisch anwenden können. Meine Sorge um unzureichende Sauberkeit im öffentlichen Raum beruhigt sich etwas. Der Schein von abgenützten Öffi-Garnituren trügt. Auch wenn Halte- und Türgriffe täglich von Tausenden Menschen berührt werden, ein U-Bahn-Abteil ist kein gesetzloser Raum. Die Waggons werden täglich desinfiziert und umfassend gereinigt. Soll heißen: Zumindest im Frühverkehr habe ich die theoretische Chance auf ein unberührtes Stück Haltesäule. Unsere nächste Station ist das Chemie-Labor. Hier lernen die Schülerinnen und Schüler der Gebäudereinigungsakademie, wie Seife hergestellt wird und Säuren neutralisiert werden können. Die Chemie zwischen meiner Lehrerin und mir stimmt. Denn:

Sie wagt mit mir den Schritt in den wohl wichtigsten Simulationsraum in Zeiten von Corona. Dorthin, wo ein OP-Saal sowie ein Spitalszimmer zur Reinigung in Krankenhäusern vorbereiten soll. Die korrekte, zusätzliche Lehrausbildung lautet „Desinfektor“ und bedarf eines umfassenden Wissens über Krankheitserreger. Ich kapituliere, begnüge mich mit dem Reinigen der OP-Lampen und halte mich im Hintergrund. Aber mit deutlich mehr Wissen über Hygiene.

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