Peters Berufswahl war dank seiner Herkunft angenehm übersichtlich: Da er sich zum katholischen Priester noch weniger berufen fühlte, entschied er sich für den Volksschullehrer. Die Aussicht auf einen sicheren Job, verbunden mit freizeitfreundlichen Arbeitsbedingungen, zerstreute den Rest an Zweifeln. Täglich spätestens um 14 Uhr schon auf dem Mountainbike zu sitzen, war tatsächlich eine erfreuliche Perspektive für einen sportlichen Menschen. Zwar war er nie in irgendeinem Fach eine besondere Leuchte gewesen, doch seine Freunde und Verwandten, allesamt Lehrer, konnten ihn beruhigen: Für Volksschüler sei das völlig ausreichend. Nach Abschluss der Pädagogischen Hochschule kamen Peter dann doch leichte Zweifel, ob er für die Arbeit in der Schule genügend pädagogisches Rüstzeug hatte. Noch dazu, wo die Kinder immer anstrengender werden, wie es heißt. Entsprechend nervös war er an seinem ersten Schultag in einer Landschule. Erleichtert stellte er fest, dass seine Klasse aus vierzehn durchaus nett wirkenden Kindern bestand, von denen keine ernsthafte Gefahr auszugehen schien, außer vielleicht eine lebhafte Neugierde. Diese lege sich aber in der Regel nach ein paar Wochen, wusste eine erfahrene Kollegin zu berichten.

Sie sollte recht behalten. Die Kinder begannen zu funktionieren - mit Ausnahme von Lukas, der offensichtliche Probleme hatte, dem Unterricht zu folgen. Er schnitt Grimassen, sang, zappelte herum, spielte den Clown. Peters Maßnahmen, ihn zu disziplinieren, trugen wenig Früchte. Die ältere Kollegin regte an, den Knirps mit einer „Sitzpause“ zu bestrafen, während die anderen im Pausenhof herumtollten. Da könne er sich dann beruhigen und über sein Verhalten nachdenken. Und wenn das nicht helfe, dann solle der Lehrer ihn während der Stunde vor die Tür setzen. Als Lukas' Mutter sich bei der Direktorin über diese Methoden beschwerte, hatte sie gerade einen ganz blöden Zeitpunkt erwischt. Die Direktorin war nämlich gerade damit beschäftigt, das ganze Dorf für die Wahl zur „Beliebtesten Volksschule des Bezirks“ zu mobilisieren. Und da ging es um nicht weniger als um ein schönes Foto mit Bericht in einer Gratiszeitung. Sie musste also etwas kurz angebunden sein und schlug der besorgten Mutter vor, ihren Balg doch einmal auf ADHS testen zu lassen. Da die Mutter eine Frau Magister war, wusste sie, was ADHS heißt, und fragte die Frau Direktor keck, ob diese nicht eventuell selber ein Aufmerksamkeitsdefizit habe. Damit war die Audienz vorschnell beendet.

Obwohl die Direktorin also alles in ihrer Macht stehende getan hatte, entspannte sich die Situation nicht. Der Lehrer war bei Lukas mit seinem Latein, das er nie gelernt hatte, am Ende. Zu allem Überfluss bekam Lukas von einem anderen Buben einen derartigen Tritt verpasst, dass er mit dem Kopf auf der Stiege und in Folge auf der Kinderambulanz landete. Und das alles zu dem denkbar blödesten Zeitpunkt, nämlich knapp nach der Wahl zur „Beliebtesten Volksschule des Bezirks“.

Da hieß es Ruhe bewahren. Der Treter war zwar schulbekannt, aber gleichzeitig Sohn eines Polizisten und angesehenes Mitglied der dörflichen Singgemeinschaft, in der auch die Frau Direktor sang. Und die „Frau Magister“ war eine Zugereiste und offensichtlich eine notorische Besserwisserin. Damit war alles klar. Die Direktorin erklärte der aufgebrachten Mutter also, dass es überhaupt nicht gewiss sei, wer hier der Täter ist, denn immerhin habe Lukas ja einen Hang zum Provozieren. Dass der besagte Treter immer wieder auch schon etliche andere Kinder drangsaliert hatte, ließ die Direktorin nicht gelten. Es gebe keine Gewalt an der Schule, das lasse sie sich nicht nachsagen. Immerhin sei sie gerade zur „Beliebtesten Volksschule des Bezirks“ gewählt worden.

Groß war also die Erleichterung, als Lukas die Schule wechselte. Es war auch wieder einmal typisch, dass es sich dabei um eine sogenannte Alternativschule handelte. Als ob es zu Ruhe und Ordnung auch nur irgendeine Alternative geben könnte!