Herzlichen Dank, dass Sie diese Glosse in einer bezahlten Zeitung lesen! Denn Papier ist geduldig, aber der moderne Konsument ist ungeduldig. Er will alles, und zwar sofort, und am besten gratis. Dass Menschen von ihrer Arbeit leben können sollen, ist heutzutage keine Selbstverständlichkeit mehr, deshalb muss man gelegentlich darauf hinweisen. Ein Beispiel: Dem Internet sei’s gedankt, dass man heute zu jeder Zeit an jedem Ort jegliche Inhalte anhören, ansehen und downloaden kann - vieles davon gratis. Dass dahinter geistige Urheber stehen, die von etwas leben wollen, kratzt uns wenig, solange wir nicht selbst ein solcher sind.

Im Grunde ist es recht einfach: Wenn man etwas bekommt, ohne dafür zu bezahlen, dann handelt es sich üblicherweise um ein Geschenk. In der Wirtschaft gibt es aber keine Geschenke, denn dann wäre es keine Wirtschaft, sondern Freundschaft. In der Wirtschaft wird nämlich im Gegensatz zur Freundschaft kalkuliert. Es gibt also zwei Möglichkeiten:

Erstens: Wenn Sie in der Wirtschaft etwas billig oder gratis bekommen, hat irgendjemand billig oder gratis gearbeitet. Das nennt man dann Ausbeutung. (Solange es nicht unsere eigenen Kinder sind, die 12 Stunden in der Textilfabrik arbeiten, kratzt uns das für gewöhnlich nicht.)

Zweite Möglichkeit: Es ist in Wahrheit gar nicht gratis. Sie zahlen zwar kein Geld, aber Sie müssen stattdessen etwas anderes geben. Zum Beispiel Ihre höchst persönlichen Daten. Das tun Sie ständig, meistens ohne es zu merken. Deshalb stört es Sie auch nicht besonders.

Es ist schon seltsam. Wir haben die Leibeigenschaft überwunden, den Absolutismus, die Diktaturen, den Kommunismus und den Überwachungsstaat, um uns nun selbst und aus freien Stücken in die Abhängigkeit von Konzernen zu begeben, die mächtiger sind als jeder Staat. Stellen Sie sich eine Stadt vor, in der es nur ein einziges Geschäft gibt. Nennen wir diese Stadt der Einfachheit halber Global Village, und nennen wir das einzige Geschäft Amazon. Es gibt dort auch nur ein Reisebüro, nämlich Booking.com. Es gibt nur eine einzige Wissensquelle, nämlich Google. Es gibt nur eine Plattform, auf der die Menschen ihre Gedanken, Erlebnisse und Fotos austauschen namens Facebook-WhatsApp-Instagram. Was für ein unerhörtes Gedankenspiel, werden Sie zu Recht sagen! Diese Monopolisten würden sich ja jeder demokratischen Kontrolle entziehen! So etwas würde der freie Markt ja nie zulassen. Dafür gibt es doch Gesetze und Regeln. In der Realität hat aber der freie Markt dank tatenloser Regierungen unkontrollierbare Moloche gezüchtet, und leider scheinen Gesetze und Regeln nur für Kleine zu gelten.

Während jedes Wirtshaus, das Radiomusik spielt, bis aufs Blut von der AKM sekkiert wird, dürfen Youtube und Co. ungestört jedes Urheberrecht der Welt ausreizen. Während bei uns jeder Würstelstand Steuern zahlen muss, scheffeln Konzerne wie Amazon, Facebook, Apple, Google und Co. Hunderte Milliarden und entledigen sich weitgehend jeglicher Steuerpflicht und oft auch jeglicher sozialen Verantwortung. Warum? Weil es amerikanische Konzerne sind, und – ach, wie schade! - da greift halt unser europäisches Recht nicht so richtig. Was würde Donald Trump im umgekehrten Fall machen, wenn europäische Konzerne in den USA so agieren würden? Diese Vorstellung könnte aufschlussreich für unsere Leader sein. Jene aber fliegen lieber auf Regimentskosten ins Silicon Valley und lassen dort schöne Hochglanzfotos von sich machen, um sich zu Hause als fortschrittlich zu präsentieren. Und wir nehmen ihnen das ab, und wir füttern diese Konzerne weiter mit Euros und mit Daten.

Wir füttern also die Hände, die uns aussackeln. Das ist die vielbeschworene europäische Toleranz. Man könnte es natürlich auch Dummheit nennen. Wir glauben, dass wir den Fortschritt nicht aufhalten können. Aber wenn der Fortschritt darin besteht, dass zwei Handvoll Global Players ungestört unsere Welt zu ihren finanziellen Gunsten untereinander aufteilen, dann möchte ich doch recht höflich bitten, diese Art von Fortschritt aufzuhalten.