Steigende Infektionsraten in Europa, Lockdowns, neue Maßnahmenpakete. Der Coronavirus hat die Welt im Würgegriff. Eine neue Studie zur Sterblichkeitsrate wirft jedoch die Frage auf, wie tödlich Covid nun wirklich ist? Und ob Maßnahmen wie Lockdowns gerechtfertigt sind?

Der Epidemiologe John Ioannidis (55) von der renommierten Stanford-Universität (USA) kommt in einer derzeit heftig diskutierten Studie zu dem Ergebnis, dass die Sterblichkeit von Corona-Infizierten deutlich niedriger ist, als etwa die ersten Studien aus China zeigten. „Die abgeleiteten Infektionssterblichkeit lag tendenziell niedriger als die Schätzungen, die früher in der Pandemie gemacht wurden“, schlussfolgert Ioannidis im Interview mit der Kleinen Zeitung. Erste Daten aus China hätten die Infektionssterblichkeit auf 3,4 Prozent geschätzt. Inzwischen gingen mathematische Modelle von rund einem Prozent aus.

In seinem wissenschaftlichen Papier, das die Weltgesundheitsorganisation WHO veröffentlicht hat, errechnet Ioannidis auf Basis von 61 Studien aus aller Welt eine Sterblichkeit von nur 0,23 Prozent. Das heißt, im Mittel starben 23 von 10.000 Menschen, die sich mit dem Coronavirus infiziert hatten. Dazu hat er Studien ausgewertet, die aus Antikörpertest-Stichproben die Infiziertenrate in der jeweiligen Bevölkerung errechneten. Diese untersuchten also die Dunkelziffer der Infizierten. Werte des deutschen Robert-Koch-Institutes rechnen jedoch mit einer Fallsterblichkeit. Sie gibt an, wie hoch der Anteil der Verstorbenen an bekannten Infektionen ist. Dadurch ist der Wert deutlich höher. Diese lag zuletzt bei 2,7 Prozent. Der Widerspruch zu diesen Zahlen besteht also nur scheinbar – sorgt jedoch derzeit weltweit für Diskussionen.

Ioannidis’ Ziel war es aber auch nicht, eine weltweit gültige Infektionssterblichkeit zu ermitteln, denn diese sei regional zu unterschiedlich „Die Sterblichkeit variiert, je nachdem, ob sich vor allem ältere Menschen infizieren, wie gut die medizinische Versorgung ist, wie hoch der Anteil der Menschen mit Vorerkrankungen in der Bevölkerung ist“, sagt der Epidemiologe.

Studienautor John Ioannidi
Studienautor John Ioannidi © EMBL_Photolab_Marietta Schupp

Den Nutzen der Studie sieht er vor allem im Herausarbeiten regionaler Unterschiede. Die zu kennen sei wichtig, wenn es darum gehe, Maßnahmen festzulegen.

Im Gespräch mit der Kleinen Zeitung betonte der Wissenschaftler einmal mehr, dass er einen Lockdown nicht für ein geeignetes Mittel für die Corona-Bekämpfung halte. „Ein Lockdown könne unter bestimmten Umständen mehr schaden als nutzen“, betont er. Stichwort Armut, mentale Gesundheit und, dass andere Krankheiten dadurch unbehandelt bleiben könnten. „Es muss viel mehr darum gehen, unsere Risikogruppen zu schützen.“

Er halte Homeoffice, Social Distancing und Maskenpflicht jedoch für wichtige Maßnahmen. Auch von Schulschließungen würde er Abstand nehmen. Durch seine kritische Haltung gegenüber Lockdowns, wird Ioannidis immer wieder von einschlägigen Seiten zitiert. „Eine Pandemie sollte nicht mit Politik vermischt werden“, betonte der Epidemiologe diesbezüglich. Er könne nur aufgrund seiner wissenschaftlichen Arbeit Expertisen geben. Politik mache er nicht.