Haareschneiden und Rasieren verboten, heißt es nächste Woche in Oberammergau. Gerade einmal zwei Wochen, bevor die Friseure endlich wieder öffnen, müssen dort die Haare wachsen - der Tradition zuliebe: Ein Jahr und drei Monate vor der geplanten Premiere der Passionsspiele in dem oberbayerischen Ort will Spielleiter Christian Stückl mit Bürgermeister Andreas Rödl (CSU) den "Haar- und Barterlass" verkünden.

Es ist schon der zweite Anlauf: Wegen der Coronakrise hatte Stückl die Passion um zwei Jahre verschoben. Ebenfalls wegen der Coronakrise gibt es nun beim Brauchtum Kulanz: Damit die FFP2-Masken auch bei den Oberammergauer Herren richtig sitzen, ist das Rasierverbot gelockert.

Wallende Bärte und schulterlanges Haar prägen alle zehn Jahre zur Passion das Bild in dem Ort der Herrgottsschnitzer. Vor einem Jahr war es schon soweit: Oberammergau stand zwei Monate vor der Passion, als die Pandemie an Fahrt aufnahm. Stückl sagte schweren Herzens die Premiere ab. Mit der Verschiebung auf 2022 hob er auch den Haar- und Barterlass auf. Mütter, Väter, Geschwister und Partner griffen zur Schere. Denn auch damals waren die Friseure geschlossen.

Vom 14. Mai bis 2. Oktober 2022 soll das Laienspiel vom Leben, Sterben und von der Auferstehung Jesu nun auf die Bühne kommen. Waren beim ersten Anlauf die meisten glattrasiert und frisch geschoren in die Zeit des Haarschneide-Verbots gestartet, so tragen viele Oberammergauer pandemiebedingt jetzt schon Mähne.

Am Mittwoch (17. Februar) will Stückl mit Rödl offiziell das Plakat mit dem Aufruf vor dem Passionstheater anschlagen: "Alle Mitwirkenden und alle Kinder, die an den Passionsspielen 2022 teilnehmen, werden hiermit vom Spielleiter und der Gemeinde Oberammergau aufgefordert, sich ab Aschermittwoch, den 17. Februar 2021, die Haare, die Männer auch die Bärte, wachsen zu lassen."

Erlass betrifft sehr viele Einwohner

Der Erlass betrifft fast die Hälfte aller Einwohner. Rund 2.500 Oberammergauer wirken an der Passion mit. Der Ort bringt das Laienspiel seit fast 400 Jahren gemäß einem Pestgelübde auf die Bühne. 1633 versprachen die Oberammergauer, alle zehn Jahre die Passion aufzuführen, wenn niemand mehr stürbe - was der Legende nach so geschah.

Historisch ist nicht gesichert, wie Christus aussah und ob er langes Haar und Bart trug. "In den Evangelien wird über das Aussehen von Jesus gar nichts gesagt. Das war auch nicht das Wichtige", sagt die für die Passion vom Erzbistum München und Freising nach Oberammergau entsandte Seelsorgerin Angelika Winterer. Schließlich sei es um die Botschaft gegangen. Auf einigen frühen Darstellungen, etwa in der Stadt Dura-Europos im heutigen Syrien und in den Katakomben von Rom, werde Jesus mit kurzen Haaren und ohne Bart gezeigt. "Unsere Vorstellung heute ist aber sehr stark geprägt von der byzantinischen Kunst, die Jesus mit langen Haaren und Bart zeigt."

"Historiker sagen, man weiß eigentlich gar nicht, wie die Mode damals war", sagt auch Frederik Mayet, der 2022 zum zweiten Mal den Jesus darstellen wird. Von römischen Soldaten gebe es aber Zeichnungen und Münzprägungen, die diese glattrasiert mit kurzen Haaren zeigten.

In Oberammergau standen Jesus und seine Jünger womöglich nicht immer mit Mähne auf der Bühne. Der Ursprung des Haar- und Barterlasses ist nicht bekannt. "Wann die Tradition wirklich begründet worden ist, weiß kein Mensch", sagte Stückl vor zwei Jahren.