Es passierte immer donnerstags. Da trafen sich stets wackere Gesellen, die alle ein gemeinsames Ziel verfolgten. Sie zogen sich in ein unscheinbares Kämmerchen zurück und arbeiteten unter Hochdruck an einer streng geheimen Mission, die für dieses Land so bedeutend war, dass man viele Geschichtsbücher hätte umschreiben müssen. Denn ihre Informationsquellen spuckten sensationelle Hinweise aus, die sich nach langer Recherche und schweißtreibender Arbeit immer mehr auf einen entscheidenden Punkt hin verdichteten: Schönaugasse 102!

Doch keine Sorge, hier handelt es sich nicht um eine Schar Verschwörungstheoretiker, geheime Machtbündler oder politische Scharlatane. Wir reden von den fleißigen Mitgliedern des Vereins zur Förderung der historischen Fahrzeuge der österreichischen Automobilfabriken, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, ein weitgehend unbekanntes Fahrzeug steirischer Produktion wieder fahrfähig zu machen. Und das passierte eben immer im Rahmen der sogenannten Donnerstagsrunde nach Feierabend in den Hinterräumen einer unscheinbaren Werkstatt in Wien. „Den D&U-Wagen haben wir von einem Vereinsmitglied 2013 geschenkt bekommen. Und obwohl jeder gesagt hat, das können wir vergessen, haben wir das Projekt begonnen. So etwas stachelt einen ja nur noch mehr an“, erzählt Peter Böhm von den vergangenen Jahren des Improvisierens, denn für einen D&U bekommt man Teile nicht einfach so beim Händler seines Vertrauens.

EIn Firmenlogo mit echtem Seltenheitswert: Nur zwei DU wurden gebaut
EIn Firmenlogo mit echtem Seltenheitswert: Nur zwei DU wurden gebaut © Oliver Wolf

Doch Moment – D&U-Wagen? Was oder besser wer bitte war das? Es ist eine typisch österreichische Geschichte zweier Burschen mit einer genialen Idee, die in den Wirren der Geschichte (und teilweise auch der Mur, aber dazu später mehr) gänzlich unterging. Doch blicken wir zurück in das Jahr 1924.

Der junge Grazer Autohändler Rudolf Mansuet Ditmar, geboren 1880 in Triest, und zu der Zeit der Generalimporteur für die italienische Marke Aurea Automobile, sowie der Gleisdorfer Betriebsleiter Otto Urban, geboren 1888 in Römerbad (damals ein Ort im Cillier Kreis, der heute südlichste Zipfel der Untersteiermark), lernten sich während ihrer Zeit in der Armee kennen. Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs planten die zwei, nicht nur mit Fahrzeugen zu handeln, sondern gleich welche zu bauen. Vom grundsätzlichen Aufbau her vertrauten die zwei auf konventionelle Lösungen: Ein stabiler Rahmen aus U-Profilen dient als Basis, die Hinterachse ist starr, der Motor mit 1,4 Liter Hubraum und rund 25 PS längs eingebaut. Ditmars Kontakte nach Turin ließen ihn zu einem seitengesteuerten Vierzylinder der Marke F.A.T.A. (Fabbrica Anonima Torinese Automobili) greifen.

Gebremst wird nur über die Hinterräder, dafür aber verfügte jede Trommel über insgesamt vier Backen: jeweils zwei für die Betriebs- und zwei für die Handbremse. Im Bereich der Elektrik war man hingegen äußerst innovativ und verbaute sowohl einen E-Starter als auch eine Lichtmaschine – in den 1920er-Jahren alles andere als eine Selbstverständlichkeit. Den Windschutzscheibenrahmen fertigte eine kleine Schlosserei in Graz, die Räder lieferte ein namhafter Hersteller aus Deutschland. Was alles jetzt wirklich in der Schönaugasse hergestellt wurde, ist schnell aufgeschlüsselt: der Rahmen an sich und die Karosserie – fertig.

Lange hielt die Zusammenarbeit nicht. Obwohl große Pläne geschmiedet und bereits Grundstücke erworben wurden, um eine richtige Autofabrik aus dem Boden zu stampfen, endete alles ziemlich schlagartig im Jahre 1925. Und auch das Schicksal ihrer vermutlich zwei gefertigten Fahrzeuge könnte unterschiedlicher nicht ausfallen. „Eines soll irgendwo in der Mur gelandet sein und dort heute noch liegen. Wo das sein soll, weiß aber keiner mehr“, erzählt Böhm von der Suche nach der Beilagscheibe im Schraubenhaufen, der im Laufe der Jahrzehnte immer größer wurde. Ja und vor dem zweiten Exemplar, das Ditmar und Urban auf die Räder stellten, stehen wir jetzt.

Genau an der Adresse, wo es vor 94 Jahren das Licht der Welt erblickte. Es wirkt ein wenig surreal, da sowohl die Fassade des Hauses im Innenhof als auch das Straßenschild den Anschein erwecken, die Jahrzehnte unberührt überstanden zu haben. Der D&U passt gut in diese heimelige Atmosphäre, vermutlich auch deswegen, da man ihm sein wahres Alter nach wie vor ansieht. „Wir haben so viel wie möglich original gelassen, um den Wagen nicht seiner Geschichte zu berauben“, erzählt Böhm von der komplexen Aufgabe, ein Auto zu restaurieren, von dem es absolut keine Unterlagen gibt. Man musste sich also in Sisyphos-Arbeit von Detail zu Detail durcharbeiten. „Da ist unendlich viel gepfuscht worden. Die Antriebswellen waren verbogen, das Differenzial defekt und der Motor funktionierte auch nicht mehr. Doch zum Glück fanden wir einen pensionierten Gießer, der uns sogar die Bremsbacken neu anfertigte.“

Vier Mitglieder der Donnerstagsrunde: Peter Böhm, Otto Killer, Walter Pipek und Ferdinand Horvath restaurierten den D&U-Wagen
Vier Mitglieder der Donnerstagsrunde: Peter Böhm, Otto Killer, Walter Pipek und Ferdinand Horvath restaurierten den D&U-Wagen © Oliver Wolf

Langsam hangelte man sich so durch ein Sammelsurium an kuriosen Lösungen. Das Dach zum Beispiel wurde seinerzeit mit einer speziellen Glasur überzogen, ehe man es lackierte. Und der hintere Teil des Aufbaus stammte überhaupt von einer Kutsche ab. Wobei, Stichwort Karosserie, beinahe wäre die ganze Operation schon zu Ende gewesen, ehe sie überhaupt richtig begonnen hatte. „Der vordere Teil ist mit dem Kutschenaufbau nur über einen einzigen Metallstreifen verbunden. Das wussten wir aber nicht. Als wir die Karosserie dann vom Rahmen abheben wollten, ist uns das Ganze beinahe auseinandergefallen.“

Ein interessantes Detail und typisch für ein Vehikel, das noch unter dem Einfluss der verflossenen K.-u.-k.-Epoche entstanden ist: Während der Chauffeur auf Leder Platz nehmen durfte, reiste man hinten auf Stoffbezügen. „Dort saßen schließlich die Herrschaften überdacht, während der Fahrer ja ungeschützt im Freien saß.“ Zwar gibt es ein Verdeck, das sogar überraschend schnell zugeklappt werden konnte. Wirklichen Schutz vor Regen stellte man sich aber wohl schon damals etwas anders vor.

Ein wenig anders haben sich wohl auch die Herren Ditmar und Urban das Ende ihrer Zusammenarbeit vorgestellt. Die Schraubenkiste der Geschichte gibt auch hier nur wenig Brauchbares her. „Angeblich haben sie sich zerstritten, vielleicht gingen sie aber auch in Konkurs“, mutmaßt Böhm, genau weiß das niemand. Dass es die zwei Tüftler aber tatsächlich nicht geschafft haben, mehr als zwei Exemplare zu fertigen, ließ sich dafür ziemlich exakt eingrenzen. „Aus Unterlagen der Wirtschaftskammer ging hervor, wie viele Fahrzeuge damals in Österreich gefertigt wurden. Und wenn man die Produkte aller bekannten Hersteller abzieht, blieben zwei Stück übrig“, weiß Vereinsmitglied Franz Legenstein nach Monaten des Aktenwälzens zu berichten.

Die Stückzahl gilt aber nur als das letzte i-Tüpfelchen einer jahrelangen Recherche, die dank noch lebender Zeitzeugen und dem nächtelangen Durchforsten alter Unterlagen Erstaunliches zutage brachte. Nur der genaue Produktionszeitpunkt konnte nicht mehr ermittelt werden, doch ab 1927 bis zum heutigen Zeitpunkt ist alles genau dokumentiert: Ein Lebensmittelhändler aus Falkenstein erwarb seinerzeit den Wagen, um damit Gemüse von Graz nach Wien zu transportieren. Scheinbar stellte sich das Auto als nicht ganz optimal für diesen Zweck heraus, denn der Sohn besagten Händlers konnte sich noch erinnern, dass sein Vater den D&U gegen einen kettenangetriebenen Lkw von Gräf & Stift eintauschen wollte.
Doch dazu kam es nicht mehr und den über Europa einbrechenden Zweiten Weltkrieg überlebte das Gefährt mehr oder weniger gut geschützt in einem Schuppen im Heimatort. Dass der Besitzer auch nach der Kapitulation Deutschlands kein Interesse mehr hatte, sein Automobil zu reaktivieren, bewahrte den wertvollen Grazer auch in der Nachkriegszeit, in der alles Alte keinen Wert hatte und mit Vorliebe achtlos weggeworfen wurde, vor Schlimmerem. Und so kam es, dass besagtes Vereinsmitglied Jahrzehnte später das Objekt der Begierde kaufte und in den Hallen einer Wiener Eisfabrik zwischenlagerte. 1990 dann übersiedelte der D&U in das Technische Museum. Ja und der Rest ist, wie man so schön sagt, Geschichte.

Die Krönung der Recherche tauchte als letztes fehlendes Puzzleteil dieses Kapitels österreichischen Automobilbaus in einem Telefonbuch von 1924 auf: der Eintrag der Erzeuger­firma „Ditmar & Urban, Autobau, Erzeugung von Automobilen, Schönaug. 102.“ Die Donnerstagsrunde hatte also nicht nur in der Werkstatt ganze Arbeit geleistet, sondern auch die Geschichte des D&U-Wagens wieder vollständig hergestellt.