Der Wal ist alles andere als dick. Athletisch, geradezu grazil wirkt er. Und überraschend leichtfüßig. Mit messerscharf gezogenen Linien und keinem Gramm zu viel auf den Rippen. Moby Dick würde neidisch werden, bei der Figur. Aber kein Wunder – wir reden hier ja auch von einem ganz speziellen Exemplar, das es weltweit nur ein einziges Mal gibt. Und das auch nicht aus den Tiefen der Weltmeere kommt, sondern aus den Tiefen einer kleinen Werkstatt im Norden von Graz. Wobei das eigentlich nicht ganz richtig ist: „Wir sind ja keine klassische Werkstatt“, merkt Paul Brauchert an. „Wir bauen Einzelstücke, vom Konzept und Design bis hin zur technischen Umsetzung.“ Die Rede ist hier von Vagabund Moto, einem kleinen, aber feinen Spezialitätenladen für Motorräder, der es mittlerweile zu Weltruhm gebracht hat. Und der genauso entstanden ist wie zahlreiche Großkonzerne: eher zufällig, in der eigenen Garage und aus der Idee zweier Enthusiasten heraus.

„Kennengelernt haben Philipp und ich uns während des Studiums, als wir im gleichen Betrieb Testfahrer waren“, erzählt Brauchert über die Stunde null des gemeinsamen Unternehmens. Schnell kamen die Gespräche auf das gemeinsame Lieblingshobby: alte Motorräder und was man aus ihnen so alles machen kann. Im Nu war man schon damit beschäftigt, die eigenen Yamahas nach eigenen Vorstellungen umzubauen – und die Initialzündung für die Geschftsidee ließ nicht lange auf sich warten.

Für Paul Brauchert zeichnet ein gutes Design lupenreine Symmetrie aus.
Für Paul Brauchert zeichnet ein gutes Design lupenreine Symmetrie aus. © Oliver Wolf

„Egal, wo wir mit unseren umgebauten Maschinen dann stehen geblieben sind, sind wir vor lauter Trubel um die Bikes gar nicht mehr weggekommen.“ Die Resonanz war gewaltig. Und genau dieses Potenzial galt es, schlau zu nutzen. „Denn wir hauen ja nix raus“, fasst Philipp Rabl die Philosophie von Vagabund Moto zusammen. Hier geht es nicht um Quantität, die Steigerung der Produktivität oder die ewige Sucht der Wirtschaft nach krampfhafter Expansion. Vielmehr um den eigenen Stil und das besondere Image von Hand zusammengebauter Fahrzeuge. „Wir haben daher viel in die Marke investiert. Fotografie und Video sind uns sehr wichtig, allein für die Homepage. Und demnächst starten wir auch mit einer eigenen Helmserie.“ Schließlich geht es nicht darum, eine modifizierte BMW oder Yamaha zu fahren. Sondern darum, eine echte Vagabund haben zu wollen.

Philipp Rabl kennt die Technik der Bikes bis in das letzte Kabel
Philipp Rabl kennt die Technik der Bikes bis in das letzte Kabel © Oliver Wolf

Und diesen guten Ruf des besonderen Geschmacks sollte das erste große Projekt schlagartig lostreten – mit ungeahnten Folgen: „Wir haben dann ein Referenzbike gebaut, quasi als rollende Visitenkarte, und das ist dank der tollen Fotos viral total abgegangen.“ Die ersten Anfragen kamen, die Idee zweier Enthusiasten mutierte langsam zu einem Vollzeitjob. „Ja, und genau in dieser heißen Phase vor drei Jahren, als alles angefangen hat, groß zu werden, ist Philipp auf Weltreise gegangen“, erzählt Paul Brauchert verschmitzt vom schon lange vorher geplanten mehrmonatigen Auslandsaufenthalt seines Geschäftspartners, der einiges an persönlichen Opfern forderte. Doch die Zeiten des Vagabundenlebens sind für das Team nun definitiv vorbei: „Mittlerweile kommen 80 Prozent der Anfragen aus dem nicht-deutschsprachigen Raum.“

Coolness in Regalen: Philipp Rabl und Paul Brauchert in ihrer loftartigen Werkstatt
Coolness in Regalen: Philipp Rabl und Paul Brauchert in ihrer loftartigen Werkstatt © Oliver Wolf

Die USA, die Arabischen Emirate, Kanada – der Ruf der steirischen Zweiradmanufaktur ist um die Welt gegangen. Und wenn man sich in der neuen Werkstatt von Vagabund umsieht, kann man schon ungefähr erahnen, warum das so ist. Alles in diesen Hallen ist genauso wie bei den Motorrädern: nichts, was nicht durchdesignt ist. Der Schauraum mit einem Motorrad in einer überdimensionalen Spielzeugschachtel. Das Büro im Stil der 1960er. T-Shirts und andere Merchandising-Artikel geschmackvoll in einem uralten Kleiderschrank platziert und der eigentliche Arbeitsbereich gleicht eher einem coolen Loft denn einer nüchternen Werkstatt.

Offener Raum für offene Ideen – hätte Steve Jobs Motorräder gebaut, sein Geschäft wäre nicht anders eingerichtet gewesen. Und dass wirklich alles auf einem klaren Gedanken aufbaut, hätte wohl auch seinen Geschmack getroffen. Brauchert: „Symmetrie ist uns sehr wichtig, nicht nur bei unseren Konstruktionen. Da musste der Firmenname natürlich genau dazupassen. Das V als Buchstabe an sich ist schon sehr gleichmäßig aufgebaut, und Vagabund passt an sich auch sehr gut zum Thema unserer Bikes: Einfach mal abhauen, wegfahren, für kurze Zeit ein Vagabund sein.“ Und so geradlinig und einfach die Kreationen auch aussehen mögen: Dahinter steckt gewaltiges Know-how, viel Übung und die Vielseitigkeit der Akteure, die man nur in kleinen Unternehmen antrifft, wo die Chefs noch selber Hand anlegen. Und obwohl beide das klassische Schrauben natürlich im kleinen Finger haben, gibt es dennoch eine gut eingespielte Choreografie der Aufgaben.

„Ich habe Informationsdesign studiert und immer schon Möbel gezeichnet“, erzählt Brauchert weiter, „Daher sitze ich meist am Zeichenbrett, entwerfe die Bikes und kümmere mich auch hauptsächlich um die Organisation.“ Philipp hingegen als Maschinenbaustudent verfügt über ganz andere Talente und so behände Paul mit dem Zeichenstift agiert, so beherrscht er das Gleiche mit dem Schweißdraht. Er kümmert sich um das Grobe, die mechanischen Arbeiten bis hin zum Kabelbaum, der komplett zerrupft und neu gewickelt wird. „Im Prinzip bleiben vom Basismotorrad nur der Grundrahmen und das Fahrwerk übrig“, erzählt Rabl über die übliche Vorgehensweise, die aber schon vor dem Zerlegen des Zweirads losgeht.

„Wir beraten unsere Kunden schon beim Kauf des Basisfahrzeugs.“ Denn: „Man kann zwar alles aus allem bauen, aber mit dem passenden Grundmotorrad spart man sich einfach eine Menge Geld und Zeit.“ Der Draht zum Kunden liegt bei einer so individuellen Angelegenheit aber ohnehin auf einem völlig anderen Niveau als beim Kauf eines Mopeds von der Stange. „Der ganze Prozess ist natürlich sehr wichtig“, meint Brauchert über den Zauber, sich ein Bike maßschneidern zu lassen. „Wir wollen den Kunden auch kennenlernen, alles mit ihm besprechen. Er kann gerne bei uns vorbeischauen, natürlich auch während der Bauphase.“ Individualisten pflegen schließlich eine besondere Beziehung zu ihren Vehikeln und die Fertigstellung eines entsprechend kreativ gezeichneten Vehikels braucht einfach ihre Zeit. „Wir sind halt leider auch sehr detailverliebt“, gesteht Paul, während er nur die wichtigsten Features eines seiner Entwürfe aufzählt, der alles beinhaltet, was Vagabund Moto ausmacht: The Whale.

Der schlanke Wal war ursprünglich einmal eine BMW 100R, die sich bei den zwei Tüftlern einer einjährigen Kur unterzog. Und so kurios es auch klingen mag: Dass der Rahmen gekürzt wurde, war von allen Modifikationen noch die harmloseste. Der Tank zum Beispiel besteht aus Aluminium und ist komplett handgefertigt. Die Elektrik wurde komplett überholt und möglichst unsichtbar verlegt, der Tank lässt sich über einen Dämpfer hochklappen und sogar die Halterungen für das Bordwerkzeug und die Geldbörse bestehen aus feinstem, von Hand verarbeitetem Leder. Alles, wirklich alles ist verkleidet, verpackt, durchdacht und dennoch frei von jeglichem unnötigen Krimskrams. Motorrad in seiner reinsten und ursprünglichsten Form. „Wir versuchen, alles auf das Nötigste zu reduzieren. Unsere Bikes muss man nicht mit dem Smartphone starten können. Hier geht es ja um das pure, ehrliche Fahren“, erklärt Brauchert die Philosophie von Vagabund. „Natürlich ist unser Sattel keine Sänfte, aber um das geht es ja auch nicht. Der muss einfach passen. Und bequem ist es eh daheim auf der Couch.“

Dass so wenig Arbeiten wie möglich außer Haus gegeben werden, ist für die zwei Vagabunden natürlich Ehrensache. „Der Tank war so ein Beispiel. Es gibt nur mehr sehr wenige Spezialisten für Alubearbeitung, das sind ja auch echte Künstler“, erzählt Rabl. „Aber wir sind eine neue Generation und verwenden völlig neue Techniken.“ Das Zauberwort lautet in diesem Fall 3D-Druck – eine Technik, mit der unglaubliche Dinge möglich sind. „Bei Schaltern gibt es zum Beispiel nichts auf dem Markt, was zu unserer Philosophie passt, es möglichst simpel zu halten. Also fertigen wir sie selber an“, erklärt Rabl, der über CAD die Elektronik mit den exakten Plänen speist, wie das Bauteil auszusehen hat. „Mit einem 3D-Drucker kommst du praktisch überallhin, mit einer Fräse nicht.“ Und da man nicht nur Kunststoff, sondern auch schon Alu drucken kann (so unglaublich sich das auch anhört), sind der künstlerischen Freiheit kaum mehr Grenzen gesetzt. So kam der Wal erst zu seinem unvergleichlich knackigen Heck. Und weil die Frage nicht erst ein Mal aufgetaucht ist: Ja, auch der Gesetzgeber setzt den Vagabund-Bauten keine Grenzen vor die Nase.

„Natürlich ist alles typisiert, was wir anbieten. Und wir waren die ersten, die Bikes ohne Kotflügel typisiert haben. Schließlich gibt es in der EU keine definitive Vorschrift für eine Radabdeckung.“ Brauchert ergänzt, dass sich die beiden zwar ausführlich mit den Vorschriften auseinandergesetzt haben und genau wissen, was geht und was nicht. „Genau sagen, wie lange die Typisierung dauert, können wir aber trotzdem nie. Manchmal dauert der Behördenweg zwei Monate, das nächste Mal nur vier Tage.“ Weil aber auch Detailversessenheit ihre Zeit braucht, entstehen nicht mehr als fünf bis sechs Motorräder pro Jahr.

Bleibt bei einem so dichten Arbeitspensum eigentlich noch irgendwo ein klein wenig Luft für die eigenen Ideen? Kaum, gestehen die zwei. Aber ein Projekt gibt es da, das das dynamische Duo gerne nur für sich selbst durchziehen würde. Eine Puch 250 TF. Brauchert: „Einfach, weil sie ein schönes Motorrad ist, einen schönen Motor hat. Das wäre ein reines Showbike. Und natürlich auch, weil wir eine steirische Firma sind.“ Dass Vagabund Moto derzeit vor allem für ihre BMW-Umbauten bekannt ist, mag zwar toll sein, weil jetzt sogar der Hersteller höchstpersönlich auf die zwei Grazer aufmerksam geworden ist. „Sie eignen sich halt auch gut“, ergänzt der junge Steirer. „Der hintere Rahmenteil ist einfach abschraubbar, und die Motoren halten eigentlich ewig.“ Aber das Portfolio des kreativen Duos geht noch weit über die bayerische Boxerfamilie hinaus und soll demnächst auch noch weiterwachsen: „Wir wollen uns jetzt vor allem auf neuere Bikes konzentrieren und zusätzlich auch noch mehr das Thema Adventure abdecken. Das passt dann auch noch bes- ser zu unserem Namen.“