Frau Enkel, Sie beschäftigen sich in Ihrer Lehr- und Forschungstätigkeit mit dem Wandel hin zu umweltfreundlichen Antriebstechnologien und intermodalen Mobilitätskonzepten – und mit dem Zusammenspiel unterschiedlicher Mobilitätsformen. Wie verändert die Corona-Pandemie die Mobilität?
ELLEN ENKEL: Es gibt noch wenig, was wir wissenschaftlich empirisch erforschen konnten. Was wir aber sehen, ist: Der öffentliche Verkehr ist zurückgegangen. Das liegt an Corona, weil man sich etwa mit Maskenverweigerern oder Corona-Leugnern nicht auseinandersetzen möchte oder sich vor einer Infektion schützen will. Dass mehr Menschen auf das Auto umsteigen, ist auch noch nicht wissenschaftlich nachgewiesen. Trotzdem sehen wir viele Umsteiger: Jene, die normal Öffi fahren, steigen auf Auto und Fahrrad um. Aber die Berufspendler fahren weniger, weil sich mehr Menschen im Homeoffice befinden.

Das Auto wurde ja schon von einigen als Auslaufmodell bezeichnet. Rettet Corona das Auto, weil es eine infektionssichere Isolierzelle sein kann?
ENKEL:Ich bin mir nicht sicher, dass das Auto je ein Auslaufmodell war. Klimaaktivisten haben sich das vielleicht gewünscht. Dazu kommt: Viele reden ja nur von Mobilität im städtischen Raum. Im ländlichen Raum, wo der öffentliche Verkehr schlechter ausgebaut ist, gibt es keine andere Wahl. Und in der Stadt haben wir die Wahl, deshalb ist das Auto kein Auslaufmodell. Es geht heute viel mehr um die Antriebsform.

Wird das Auto ein Comeback bei den Jungen feiern?
ENKEL: Im Moment bietet das Auto einen wesentlich höheren Komfort als jedes andere Verkehrsmittel. Bei den Jüngeren sehe ich, dass es nicht zwingend gekauft werden muss. Außerdem werden wir in Zukunft eine Vielzahl von Mobilitäts-Modellen sehen. Etwa Carsharing, da gab es weltweit enorme Zuwächse. Das hat viele Gründe, etwa, weil man keine Parkplätze findet. Da teile ich das Auto und muss mich nicht darum kümmern. Auch beim Nahverkehr werden wir eine stärkere Individualisierung erleben. Etwa mit voll automatisierten Bussen im kleineren Rahmen, die auf Knopfdruck bestellt werden können. Dann gibt es viele Konzepte um das Thema Bürgertaxi. Aber: Inwieweit das in Coronazeiten erfolgreich ist, das müssen wir schauen.

Wird das E-Auto schneller zum Massenphänomen als erwartet?
ENKEL: Das rein batteriegetriebene Auto hat zwar Anlaufschwierigkeiten. Trotzdem ist es im Kommen, wenn auch in kleinen Schritten.

Aber die Verbrenner sind noch lange nicht weg vom Fenster, wenn man sich die Verkaufszahlen anschaut.
ENKEL: Ganz ehrlich: Das Geld wird derzeit mit den herkömmlichen Antrieben verkauft, 80 bis 90 Prozent sind Benzin und Diesel, dann kommen batteriebetriebene und Hybrid-Fahrzeuge.

Wie schaut die Kostenwahrheit beim Betrieb aus?
ENKEL: Wir haben eine Berechnung zur Total Cost of Ownership durchgeführt, das umfasst also nicht nur Anschaffungskosten, sondern auch den monatlichen Betrieb und wie teuer das Auto in Bezug auf Reparaturen und Instandhaltung ist. Fast alle E-Autos sind im monatlichen Durchschnitt teurer als vergleichbare Diesel und Benziner, trotz diverser finanzieller Anreize. Das liegt daran, dass Strom nicht nur billig ist und dass die E-Autos in der Anschaffung noch teuer sind.

Welchen Mobilitäts-Plattformen gehört die Zukunft?
ENKEL: Ich betrachte das vom Nutzer aus: Der Kunde wünscht sich Mobilitätsplattformen, die seinem aktuellen Lebensbedürfnis angepasst sind. Der Kunde möchte flexibel alle Mobilitätsangebote nutzen, die auf so einer Plattform zur Verfügung stehen. Ich nehme einmal das Luxusauto, später muss ich einkaufen gehen, also kann ich das Elektro-Rad buchen. Oder wenn ich nach Berlin fahre, dann nehme ich ein Zugticket, und dann den öffentlichen Nahverkehr. Alles über mein Smartphone und über einen Klick.

Das würde bedeuten: Die Hersteller müssen umdenken.
ENKEL: Solchen Modellen gehört einfach die Zukunft, wir müssen viel flexibler bleiben. Es lohnt sich für die Jungen nicht, Services zu haben, die sie nicht brauchen, aber zahlen müssen. Es geht darum, nur noch das zu bezahlen, was ich wirklich nutze. Das Auto, das ich besitze, kostet ja auch dann noch etwas, wenn ich es 90 Prozent des Tages nicht nutze.

Haben Sie ein Vorbild für so eine Plattform?
ENKEL: Stellen Sie sich vor: ein Amazon für Autos und Mobilität. Wenn es einen solchen Drittanbieter gibt, der Mobilitätsprodukte auf seiner Plattform zur Verfügung stellt, Autos und andere, dann bedeutet das automatisch, dass der Hersteller nicht mehr den alleinigen Kontakt zum Kunden hat.

Wer wird das Rennen um so eine Plattform gewinnen?
ENKEL: Darwin würde sagen, der Fitteste ist der Gewinner der Zukunft, nicht der Schnellste, nicht der Größte. Sondern der, der am besten angepasst ist an die Kunden. Wenn die Kunden nicht mehr so markenaffin sind, dann täte ich gut daran, mich mit anderen zusammenzuschließen und eine neutrale Plattform zu gestalten, um diese Kunden zu befriedigen. Der, der das tut, hat die Marktmacht und wird sich zwischen Hersteller und Kunden schieben. In unserer Welt hat Amazon die Macht. Seit 2018 ist Amazon die erste Wahl. Bei Amazon ist man beim Kunden, wird gesehen und gekauft.

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