Leise surrt der umgebaute Volkswagen über das Konzerngelände von AVL List in Graz. Eigentlich ist das Auto ein Sakrileg für die reine batterieelektrische Lehre des VW-Konzerns. Aber dieser VW wurde zu einem Brennstoffzellenfahrzeug umgebaut, das mit Wasserstoff Strom erzeugt und so das Auto antreibt.

VW-Konzernlenker Herbert Diess sieht diese Technologie nicht in seiner Pkw-Flotte – im Gegensatz zu asiatischen Herstellern. Wie etwa Toyota, wo man schon von einer Wasserstoffgesellschaft spricht, oder Hyundai. Für AVL List aber ist’s weder ein Glaubensbekenntnis noch ein Dogma: Bei dem Auto handelt es sich einfach um einen Technologieträger, mit dem man zeigt, was heute schon möglich ist.

Das Auto ist Teil eines Test- und Prüfzentrums, das in den letzten Jahren mit dem globalen Interesse an der Technologie massiv gewachsen ist. AVL startete vor 20 Jahren mit zwei Mitarbeitern, vor sechs Jahren waren es noch knapp 30, heute sind es global rund 350, mit dem Herzstück in Graz und Dependancen in Vancouver und Ungarn.

Man stellt Hightech-Prüfanlagen her, entwickelt die Technologie weiter und versucht hier im Grazer Wasserstoffzentrum Zukunftsfragen zu beantworten. Aber was ist dran am Wasserstoff, der ironisch auch als „Champagner der Energiewende“ bezeichnet wird?

Grüner Wasserstoff

Sinnstiftend in Sachen Umwelt ist ausschließlich der sogenannte grüne Wasserstoff, der aus erneuerbaren Energien hergestellt wird, mit einem Verfahren namens Elektrolyse: Wasser wird mithilfe von Strom in Wasserstoff (H2) und Sauerstoff (O) zerlegt.

Das Verfahren benötigt einen hohen Energieeinsatz, das macht die Sache teuer, in Folge kann man den Wasserstoff zu synthetischen Kraftstoffen – auch Benzin, Diesel, Kerosin – verarbeiten.

Grüner Wasserstoff als Energieträger oder Energielieferant ist einer der wichtigsten Hoffnungsträger der Schwerindustrie, genauso wie in der Luft- und Schifffahrt. Man könnte in bestimmten Bereichen außerdem die Infrastruktur des Gasnetzes nutzen.

Fallstricke

Natürlich lauern noch Fallstricke: Bei der Umwandlung von Ökostrom in Wasserstoff werden (noch) hohe Energiemengen benötigt. Österreich könnte zum Beispiel bei einer Umstellung auf Wasserstoff seinen Energiebedarf nicht aus einem grünen Energieportfolio (Wasser, Wind, Sonne) abdecken.

Jürgen Rechberger, Manager des globalen Brennstoffzellenprojekts von AVL List, sieht aber weniger Probleme, sondern viel mehr Lösungen und Ansätze für solche Fragestellungen.

Etwa, dass man den heimischen Überschussstrom im Sommer eben über Wasserstoff speichert. „Wir sehen enorme Kapazitäten, die man im Winter dann verwenden könnte.“ Außerdem seien die Importmöglichkeiten von erneuerbaren Energien zu sichern. „Und das wird nicht Strom sein, das wird in Wasserstoff gespeicherte Energie sein.“

Rechberger geht davon aus, dass man zum Beispiel aus Nordafrika einen mithilfe erneuerbarer Energien produzierten Wasserstoff, nach Europa bringt, um hier das Energiedefizit im Winter – bedingt durch Ausfälle bei Wasser und Sonnenenergie – auszugleichen. Deutschland etwa investiert bereits jetzt Milliarden in solche Wasserstoffprojekte.

Energiewende

Taucht man anhand solcher Beispiele und Initiativen tiefer ins Wasserstoffthema ein, erkennt man schnell den ganzheitlichen Ansatz in der Energiewende. Rechberger trocken: „Das beginnt heute. Man muss heute anfangen, solche Projekte zu planen, sonst fährt der Wasserstoffzug ohne uns ab.“

AVL List ist ein Vordenker in der Wasserstoffbranche. Dutzende Prüfstände der Spezialisten laufen weltweit, sie werden in Vancouver von einer Tochterfirma gebaut.

Diese Prüfstände sollen Brennstoffzellen bis ins letzte Detail analysieren. Man simuliert unterschiedliche Betriebsbedingungen, untersucht Verbräuche genauso wie unterschiedliche Anwendungen und Zellgrößen. Dicke und dünne Schläuche ziehen sich wie Gedärme durch die Prüfstände, sie inhalieren Sauerstoff und Wasserstoff.

Das Zentrum ist seit gut einem Jahr in Betrieb, wird laufend erweitert. Hier in Graz laufen die Prüfstände rund um die Uhr, geht die Schicht zu Ende, übernehmen die Kollegen aus Vancouver. Ein solcher Prüfstand braucht etwa ein Jahr, bis er als Maßanfertigung beim Kunden steht.

Spezielle Brennstoffzellen

Weiters forscht AVL an speziellen Arten von Brennstoffzellen: etwa an einer Hochtemperaturbrennstoffzelle, die auch mit Erdgas, Ethanol, Methanol betrieben werden kann und über einen hohen Wirkungsgrad verfügt. Verwendungszweck? Etwa für stationäre Energieerzeugung und kleine Kraftwerke zur Stromerzeugung. Das Spannende: Sie ist komplett reversibel, das heißt, diese Brennstoffzelle kann im Umkehrmodus für die Elektrolyse verwendet werden und mit einem Wirkungsgrad von bis zu 90 Prozent Wasserstoff produzieren. Auch hier zeigt sich der ganzheitliche AVL-Denkansatz.

Die Transformation der Autobranche sowie die Ankündigung der auslaufenden Verbrennungsmotorenentwicklung haben sich längst in der Strategie von AVL manifestiert.

Rechberger erklärt, dass AVL List bis 2025 noch ein Drittel des Geschäfts im Umfeld der Verbrenner sieht; ein Drittel wird im Umfeld von Batterien und Wasserstoff bestritten und ein weiteres Drittel mit Fahrzeug- und Fahrassistenzsystemen. Dass das ganze Wasserstoffprojekt in Europa langsamer in Schwung kommt als in Asien, sieht Rechberger durchaus kritisch: „Da war man auf dem Holzweg, mit einer falschen Strategie.“

Technologie-Rivalität

Er geht zwar ebenso davon aus, dass der batterieelektrische Antrieb die dominante Technologie sein werde, aber: „Wer keine Ladestelle hat, wird kein E-Auto kaufen können, und dann ist da auch noch das Schnellladen: Die Stromnetze schaffen das nicht.“

Rechbergers Rechnung: „Wir haben fünf Millionen Pkw in Österreich. Wenn wir das alles auf E-Fahrzeuge umlegen und nur ein Prozent davon auf Schnellladen umstellen, dann brauchen wir dreimal mehr Strom, als wir heute produzieren. Schnellladen auf breiter Ebene wird es nicht spielen. E-Mobilität bedeutet über Nacht laden.“ Deshalb sieht er bei 20 bis 30 Prozent der zukünftigen Fahrzeuge ein „anderes Technologiepotenzial“, also Wasserstoff und Brennstoffzelle. Vor allem für Langstreckenfahrer. Und das Tanken sei ähnlich wie bei den heutigen Autos – kurz und bündig. Schneller werde der Wandel am Lkw-Sektor über die Bühne gehen.

Durchbruch 2030

Rechberger prophezeit das große Wachstum für Brennstoffzellenfahrzeuge um 2030. Kernproblem heute: „Ohne Wasserstofftankstellen keine Wasserstofffahrzeuge.“

Im Jahr 2030 rechnet Rechberger global mit zwei Millionen Brennstoffzellenfahrzeugen. 2030 werde man laut Rechberger ausreichend über grünen Wasserstoff verfügen und durch die „stärkere Adaptierung im Lkw-Bereich“ seien mehr Tankstellen zu erwarten. „Die Tankstellen kommen dann, wenn es ein Geschäftsmodell gibt. Und das haben wir erst, wenn die Lastkraftfahrzeuge unterwegs sind.“

Auch für die energieintensive Produktion von grünem Wasserstoff über die Elektrolyse, im Grunde eine Umkehrreaktion der Brennstoffzelle, macht er gute Perspektiven aus. Der Wirkungsgrad dabei steige stetig. „Derzeit sind es 60 bis 70 Prozent Wirkungsgrad, wir arbeiten mit Testzellen, die Wirkungsgrade bis 85 oder 90 Prozent erreichen. Aber diese Technologie braucht noch fünf Jahre, bis sie im Markt ankommen wird.

Für Rechberger bleibt es in der weiteren Vorgehensweise entscheidend, dass die Wasserstoffproduktion unmittelbar dort umgesetzt werde, wo man die erneuerbare Energie gewinnt. „Etwa bei Offshore-Windrädern, die direkt an die Wasserstoffproduktion gekoppelt sind.“

Notwendige Verbesserungen

Wasserstoff sei einfach das Mittel zum Zweck: „Wir brauchen ein neues Element, um Energie speicherbar zu machen.“ Das Potenzial sei erheblich, der Reifegrad der Brennstoffzelle noch lange nicht am Ende. „Entscheidend sind die Kosten, wir sehen das Kostenpotenzial heute im Bereich der Verbrennungsmotoren.“

Aber es brauche Verbesserungen, beginnend bei der Zelltechnologie, bei den Katalysatoren, bei den Materialien und bei den großindustriellen Produktionsverfahren.

Am teuersten seien der Platin-Einsatz und die Membrane, die erst günstiger werden, wenn es zu großen Stückzahlen in der Massenfertigung kommt.

Hier kann man Vergleiche mit der Batterie ziehen, die vor zehn Jahren noch 600 Euro pro Kilowattstunde kostete. Heute spricht man davon, wie weit man unter die 100-Euro-Grenze pro kWh kommt. Einen Vorteil besitze die Brennstoffzelle im Vergleich zur Batterie: Die Kosten für das Batterierecyceln seien ungleich höher. „Bei einer Batterie ist es die Frage, ob und wann das Recyceln wirtschaftlich wird“, so Rechberger. Bei der Brennstoffzelle könne man wirtschaftlich bis zu 90 Prozent recyceln.

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