Die Meldung klang so harmlos, deshalb blieben wohl Reaktionen aus. Die Durchführungsverordnung der EU, wonach Autohersteller alle Daten über den tatsächlichen Treibstoff bzw. Stromverbrauch an die europäische Umweltagentur übermitteln müssen, wurde Ende März schlagend.

Diese Daten, erfasst und gespeichert über die Software „On-Board Fuel Consumption Meter“, haben aber das Potenzial, unseren Umgang mit Autos nicht nur zu beeinflussen, sondern entscheidend zu verändern. Sie sind ein Teil eines Datenschatzes und einer Datensucht, die die Konzerne aus dem Silicon Valley entfacht haben.

Wir geben heute über Facebook, Instagram, Fitnessbänder schon so viel von uns preis. Das gläserne Auto ist das letzte Missing Link einer überwachten Menschheit.

EU-Überwachung

Auf den ersten Blick erscheint die EU-Überwachung der Realverbräuche als ein logisches Ansinnen: Es geht um die Diskrepanz zwischen den offiziellen Verbräuchen und dem realen Spritdurst. Hier könnte die EU bei hohen Überschreitungen eingreifen, die Automobilkonzerne unter Druck setzen.

Aber das ist noch lange nicht alles. Von neuen Tempolimits aufgrund zu hoher Verbräuche bis zur individuellen CO2-Steuer für jene, die weit mehr Energie für ihr Auto aufwenden, als durchschnittlich aufgrund von Vergleichsdaten erklärbar wäre. Freilich gilt auch: Dafür könnten jene, die besonders sparsam fahren, steuerlich entlastet werden.

ÖAMTC-Cheftechniker Thomas Hametner bestätigt, dass auch die Diskussionen um Plug-in-Hybride ein Mitgrund für den Datenhunger der EU seien. Die steuerlich bevorzugten Plug-in-Hybride, also Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor, einem E-Motor und größeren Batterien mit Reichweiten von 50 bis 100 Kilometern, gelten als Türöffner in die Welt der E-Mobilität. Deshalb hat die Politik bisher wohl weggeschaut, wenn viel zu wenige den Elektro-Modus nützen und aufgrund des höheren Systemgewichts mehr Sprit verbrauchen. Mit der neuen Software erkennt man aber, wie oft elektrisch und wie oft mit Unterstützung des Verbrennungsmotors gefahren wird.

Der große Datenhunger

Die EU hält sich, was weitere Pläne betrifft, bedeckt. Man betont die Anonymisierung der Daten, Namen und Adressen der Fahrzeug-Eigner sollen nicht erfasst werden. Aber die Fahrzeug-Identifizierungsnummer wird im Datenfluss der Verbrauchsdaten mitschwimmen – damit kann man Autos identifizieren.

Der Datenhunger der EU ist aber nur ein aktueller Teilaspekt des gesamten Phänomens. Das Auto, eine Daten-Goldgrube, aus der Geschäftsmodelle erwachsen, die wir uns heute noch gar nicht so richtig vorstellen können.

Der deutsche Automobilclub ADAC hat zum Beispiel untersucht, wie viele Daten ein modernes Auto heute alle paar Minuten weitergibt   – die Ergebnisse sind überraschend. Die Daten lassen außerdem viele Rückschlüsse – etwa auf den Fahrstil – zu.

Das gläserne Auto

Das, was uns als „rollender Computer“ verheißungsvoll in eine bessere, mobile Zukunft bringen soll, sind Datenlabore, die uns auslesen. Das gläserne Auto ist Realität, die Frage lautet nur: Wie tief schürft die Industrie weiter nach Daten?

Jedes neue Auto besitzt eine Vielzahl von Sensoren. Im Auto (Kameras, die die Augen überwachen, um Müdigkeit festzustellen etc.) genauso wie rund um das Auto (Radar-, Ultraschallsensoren und Kameras). In hochmodernen Fahrzeugen sitzen Hunderte Sensoren.

Und sie verraten uns längst: Elektronische Gurtstraffer, die anschlagen, offenbaren den Fahrstil, ebenso Brems- und Beschleunigungsmanöver. Das sind Informationen, an denen etwa Versicherungen hoch interessiert wären.

Neue Geschäftsmodelle

Intelligente Scheibenwischer mit Onlinemodulen können exakte Wetterdaten aus jedem Winkel des Landes in Echtzeit übermitteln. Ein großer Autohersteller kann seine Kunden als Schwarmintelligenz einsetzen und die Wetterdaten an Wetterdienste verkaufen.

In Deutschland fragten Kommunen bei Autoherstellern an, ob die Kameras von Autos für die Überwachung des Straßenzustandes eingesetzt werden können. Freilich gegen Bezahlung – an die Hersteller.

In den USA kennt man Experimente, bei denen Kameras auslesen, wie Autofahrer in Staus auf Werbung im Umfeld reagieren. Erfasst die Gesichtserkennung eine positive Reaktion, könnten in Zukunft ad hoc Angebote eingespielt werden.

Die Überlebensfrage

Für die Autohersteller ist es in Zeiten unsicherer Zukunft zu einer Art Überlebensfrage geworden, aus den Daten eigene Geschäftsmodelle und Ökosysteme zu erschaffen, auch wenn sie immer wieder den sensiblen und gesetzeskonformen Umgang mit den Daten betonen. Wie Apple, wie Facebook, wie Netflix.

Die Hersteller sehen ein erweitertes Geschäftsfeld mit den Daten“, analysiert auch Hametner. „Sie können schon vieles auslesen.“

Das wirft eine Reihe von Fragen auf: Wem gehören die Daten? Wer darf mit welchen Daten etwas machen? „Es geht jetzt um eine klare Positionierung zwischen den Autobesitzern, den Herstellern, den Servicedienstleistern und den Versicherungen. Daran arbeiten wir“, so Hametner.

Hunderte Milliarden Dollar

Das Potenzial des Datenschatzes, aus dem Dienste generiert oder Werbungen konstruiert werden, schätzen Experten auf Hunderte Milliarden Dollar. Über Apps – auch spezielle Apps der Autohersteller – sind wir längst durchschaubar geworden.

In der Vernetzung hinterlassen wir mit jeder Nutzung, mit jeder Handy-Suche Spuren. Bewegungs- und Interessensprofile sind erstellbar. Jetzt geht es darum, dass Autofahrer quasi als Gegenleistung einen Teil des Kuchens erhalten, den andere ganz aufessen wollen.

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