Eines muss man Sajjad Khan lassen: Dieser Mann, der die Denke bei Daimler revolutioniert und dem Erfinder des Automobils eine digitale, neue Identität verleiht, versteht es, diese Bits und ­Bytes, die Algorithmen, die Software zu vermenschlichen. Er erklärt Software-Architektur mit einem digitalen Nervensystem im Auto und überhaupt, das Auto sei jetzt schon ein lernendes Wesen - quasi. In seiner Funktion, in seinem Kopf bündeln sich alle Kernbereiche, die die Zukunft des Automobils darstellen sollen. Vernetztes, autonomes, geteiltes Fahren. Seine Software-Strategie soll der Schlüssel dafür sein.

Der Sohn eines pakistanischen Diplomaten ist passionierter Radfahrer und Programmierer. „Ein gut geschriebener Code ist ein Kunstwerk, so etwas wie die Mona Lisa des 21. Jahrhunderts“, erklärte er einmal im Interview mit dem „Handelsblatt“. Er weiß um die Bedeutung seiner Mission. Letztlich geht es um die digitale Hoheit bei der Fahrzeug-Software.

Der Kampf ist vor Corona entbrannt und wird jetzt nur noch schärfer geführt. Autohersteller reden gerne von Ökosystemen, also digitalen Gebieten, in denen sich der Kunde wie in einem abgeschlossenen System bewegen und dort Services kaufen soll. Bloß befinden sich die digitalen Reiche, gegen die man kämpft, in einer anderen Liga: Google, Apple, sie alle sind mit ihrer Software und den einfachen Problemlösungen tief in unseren Gehirnen verankert.

Khan will diese Vorherrschaft durchbrechen, mit einem eigenen Betriebssystem, das bald so weit entwickelt sein soll, dass man es auch an andere Autofirmen verkaufen kann. Man wäre ein Google der Autoindustrie. „Wir werden bis 2025 in der Lage sein, unsere Software an andere Hersteller zu verkaufen“, erklärt Khan im Gespräch mit der Kleinen Zeitung.

Dieser Ansatz ist deshalb so spektakulär, weil für Autokonzerne jahrzehntelang nur das Fahrgefühl heilig war. Der Rest war nett, aber Beiwerk. Diese Stimmung dreht sich, weil das Auto eine andere Bedeutung erhält. Als Lebensraum, als Lebenspartner. Khan hat die Arbeitsweise im Konzern verändert, man holt strategische Partner wie den Spielechiphersteller Nvidia an Bord, die in Teilbereichen ihr Know-how genauso einfließen lassen wie klassische Autozulieferer, etwa Bosch. Alles greift ineinander.

In China ist man mit der Umsetzung des Autos als Lebenspartner schon weiter, da werden über die Mercedes-App Pakete ins Auto geliefert oder Conciergedienste angeboten. Das Ökosystem wächst schneller. „Die Technologie ist da“, erläutert Khan, „die Frage bleibt, wie die Logistikkette in Europa aussieht. Und ob wir mit dem Thema auch in kleine Städte können.“ Die Mercedes-Me-App könne alles umsetzen.

Ins Schwärmen kommt er freilich beim neuen Betriebssystem in der S-Klasse. Kameras in der Dachbedieneinheit und lernende Algorithmen können zum Beispiel Kopfrichtung, Handbewegungen und Körpersprache interpretieren und mit entsprechenden Fahrzeugfunktionen assoziieren. „Was wir entwickelt haben, merkt der Kunde nicht, es sind Systeme, die von sich selbst aus agieren können.“ Sprachbefehle seien ebenso auf einem neuen Level, die ganze Art der Personalisierung sowieso. Nur bei einer Frage bleibt er vorsichtig. Wann werden wir die erste vollautonome S-Klasse erleben? „Da würde ich keine Daten nennen.“     

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